Aus eigener Erfahrung

Mobbing oder doch nur geärgert?

Ein Erfahrungsbericht von Chantal Krämer, Klasse 8

Wann spricht man von Mobbing und wann wird man „nur“ geärgert?  

Wenn Mitmenschen dich ärgern denkst du häufig: „Die ärgern mich doch nur, das ist doch noch kein Mobbing. Das ist nichts Schlimmes.“ Man gaukelt sich immer selbst vor, dass es nicht so schlimm sei, und wenn eine Person etwas Anderes sagt, kann das doch nicht wahr sein. Nur die eigene Meinung zählt dann.  

Ich habe niemandem davon erzählt, weil die Anderen mich ja nur geärgert haben. Für mich war es peinlich jemandem zu erzählen, dass ich gemobbt werde, weil ich dachte ich würde dann übertreiben. Sie haben mich ja „nur geärgert”.

Aber es wurde immer schlimmer, weil sie wussten, sie bekommen dafür keinen Ärger. Ich sagte ja nie jemandem etwas und das haben sie dann ausgenutzt. Erst waren es nur Beleidigungen, dann wurde es körperlich. In meinem Kopf stellte es sich immer anders dar als es wirklich war, weil ich nicht wollte, dass jemand behauptet, ich übertriebe. Ich redete mir immer ein: „Sie haben mich nicht die Treppe runter geschubst, ich bin von alleine die Treppe runter gefallen. Sie haben mich nicht gegen die Wand geschubst, ich bin gestolpert und gegen die Wand geknallt. Sie haben mir nicht mein Geld weggenommen, das habe ich selbst ausgegeben.“ Irgendwann ist das für mich zum Alltag geworden und ich habe mich daran gewöhnt. Jeden Tag mit der Bahn in die Schule zu fahren und die Angst zu haben, von „ihr” vor die Gleisen geschubst zu werden. Diese Angst ist zum Alltag geworden und ich habe sie mit aller Kraft unterdrückt.

Natürlich hatte ich dann auch blaue Flecken und Schürfwunden, da hat es dann meine Mutter herausgefunden. Ich habe ihr alles aus meiner Perspektive erzählt, dass ich gestolpert sei. Allerdings glaubte sie mir nicht und fragte mich so lange, bis mir klar wurde, was eigentlich passiert war. Sie haben mich nicht nur geärgert. Ich wurde gemobbt. Ich hatte sogar schon Angst von ihr getötet zu werden.

Ich frage mich bis heute, wie ich diese Angst unterdrücken konnte. Dank meiner Familie konnte ich aus dem Loch raus, in dem ich gefangen war. In dem Abgrund, in dem ich mir die ganze Zeit etwas vorgegaukelt habe, dass alles perfekt wäre. Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass etwas passiert ist.

Damals ging es mir ziemlich schlecht deswegen und manchmal ist es heute noch immer so, weil ich diese Personen heute noch sehe. Aber ich bin größtenteils darüber hinweggekommen, weil ich heute laut aussprechen kann, dass ich gemobbt wurde. Denn wenn ich es laut sagen kann, geht es mir viel besser, weil eine große Last von meinen Schultern fällt. Früher habe ich mich das nicht getraut, weil ich keine Person bin, die Mitleid haben möchte. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ich dachte, wenn ich ausspreche: „Ich werde gemobbt!”, reagieren andere mit Aussagen wie: „Du willst doch nur Mitleid. Dir geht es doch gut, anderen geht es schlimmer. Du übertreibst. Du bist ja auch selbst schuld, wenn du dich so anziehst. Da ist es ja klar, dass sie dich ärgern.“

Heute weiß ich, dass all das nicht der Fall ist und man es auf jeden Fall anderen sagen sollte. Danach geht es einem viel besser. Auch diesen Artikel zu schreiben hat mir sehr geholfen, um zu akzeptieren, was passiert ist. Man ist nie selbst schuld, wenn man gemobbt wird. Die Täter tragen die Verantwortung für das, was sie anrichten. Und das aller Wichtigste ist dann, dass man nicht alleine ist. Ohne meine Familie und ihre Unterstützung wäre ich heute nicht so fröhlich, wie ich es jetzt bin.


Willst du mehr wissen über das Thema Mobbing und Cybermobbing oder bist du gar selbst betroffen? Dann wende dich an eine Vertrauensperson. Das können die Eltern, Geschwister, Lehrer_innen (Klassenlehrer_in, Verbindungslehrer_in), aber auch Außenstehende wie etwa vom Sorgentelefon (Kinder- und Jugendtelefon: 116111) sein. Außerdem findest du hier mehr Infos und auch Hilfestellungen:


Bildquellen: www.pixabay.com, www.kinderschutzbund-hessen.de/kinder-jugendliche/telefon, https://jugend.bke-beratung.de/views/home/index.html, www.schueler-gegen-mobbing.de/