Ein Autor, wie er im Buche steht

Benedict Wells

Eine Rezension von Hafsa Laabdallaoui, Klasse 13D

„Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich.“ Jules, der Ich-Erzähler, erwacht nach einem schweren Motorradunfall aus dem Koma. Während er also mit einem dröhnenden Kopf im Krankenhaus liegt, erinnert er sich an seine Vergangenheit. Er und seine zwei Geschwister wachsen in einem behüteten Umfeld auf, bis ihre Eltern bei einem tragischen Unfall ums Leben kommen. Im Internat driften die Lebenswege der drei schließlich auseinander, und auch wenn sie glauben, den Schicksalsschlag überwunden zu haben, holt er sie immer wieder auf dem Weg des Erwachsenwerdens ein.

„Vom Ende der Einsamkeit“ war meine erste Begegnung mit Benedict Wells zartem, aber trotzdem brutal ehrlichem Schreibstil. Von ihm lernte ich, dass „das Leben kein Nullsummenspiel [ist]. Es schuldet einem nichts, und die Dinge passieren, wie sie passieren. Manchmal gerecht, so dass alles einen Sinn ergibt, manchmal so ungerecht, dass man an allem zweifelt.“ Wells vermittelt den Leser*innen das Gefühl, selbst in die Handlung verwickelt zu sein und jeden Moment mit den Protagonisten gemeinsam zu durchleben.

Benedict Wells Bücher haben die Eigenschaft, dass man sie nicht aus der Hand legen kann. In jeder freien Minute, egal ob zu Hause, in der Schule oder in der Bahn, nutzte ich die Möglichkeit, um weiterzulesen und in der restlichen Zeit fragte ich mich, wie es wohl weitergehen würde.

Beispielbild (Quelle: www.pixabay.com)

Aber auch lange, nachdem ich fertig war, musste ich noch oft an Jules und seine Geschichte denken. Genauso einzigartig ist auch Wells Begabung, Charaktere zu erfassen und sie zu skizzieren. Sei es der Lehrer mittleren Alters aus „Becks letzter Sommer“, der seiner Arbeit überdrüssig geworden ist und nun das Abenteuer sucht, oder der 15-jährige Sam, dessen Leben sich in einem Sommer um 180 Grad wendet.

„Die Leser staunten über einen 23-jährigen Autor, der so viel von den Sehnsüchten der Menschen versteht.“ (Süddeutsche Zeitung) Es scheint, als habe Wells selbst all diese Leben schon einmal gelebt, derart präzise gelingt es ihm seine Protagonisten, aber vor allem ihr tiefstes Inneres darzustellen. Ganz falsch ist das nicht. In jedem Buch scheint ein kleines Stück seines eigenen Lebens verarbeitet zu sein, wie etwa seine Zeit im Internat. Der ursprünglich aus München stammende Schriftsteller veröffentlichte seinen ersten Roman 2008 mit knapp 24 Jahren. Seitdem erschienen 5 weitere Werke, darunter auch eine Kurzgeschichtensammlung. Insgesamt gewann er damit 7 Preise, mitunte auch 2016 den „Literaturpreis der Europäischen Union“ für sein Werk: „Vom Ende der Einsamkeit“.

Beispielbild (Quelle: www.pixabay.com)

Ein Einzelfall ist Wells Erfolg als Autor in seiner Familie aber nicht. Besonders überrascht war ich über die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Wells und Ferdinand von Schirach, zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Schirach selbst ist bekannt für seine beinahe schon sachlichen juristischen Romane. Die Fähigkeit, tief gehende Emotionen im Leser auszulösen, teilen sich aber beide. Wenn ich mich abschließend also frage, was einen guten Autor ausmacht, dann ist es genau diese Begabung. Deswegen ist Wells sprichwörtlich „ein Autor, wie er im Buche steht“.