Eine Geschichte zwischendurch

Das Licht

eine Kurzgeschichte von Hannah Trimborn, 8e

Ein Knall. Das mag das Letzte sein, was Lorenz zu vernehmen wagte. Dann war alles ruhig. Er konnte nicht mehr einschätzen, ob Sekunden, Minuten oder Stunden vergangen waren, bis er es schaffte, seine Augen zu öffnen. Vorsichtig setzte er sich auf. Alles war schwarz. Nachdenklich hielt er seine Hand nach vorne und schaute sie an. Alles schien in Ordnung zu sein, bis auf eine große Narbe, die sich quer über die Handinnenfläche ausbreitete.

Verwundert starrte er sie an, ließ die Hand dann jedoch wieder sinken. Ein wenig zögerlich schaute er sich um. Um ihn herum wirkte alles leer, der ganze Raum wurde von Dunkelheit verschluckt. Plötzlich flackerte ein kleines Licht in der Ferne auf. Die Lichtquelle war weiß und grell, wenn auch weit entfernt. Lorenz‘ Atmung beschleunigte sich ein wenig. Er zögerte. Aber was sollte schon passieren? Wollte er etwa für immer in diesem Loch aus Dunkelheit ausharren? Wenn es dort hinten die Möglichkeit auf einen Ausgang gab, sollte er sich das Ganze zumindest mal anschauen. Also setzte er sich in Bewegung. Zunächst sehr langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Das Licht am Ende des Raumes wurde nur langsam größer, also wurde er schneller. Seine Schritte wurden rascher, bis er von einem eiligen Gehen zu einem langsamen Joggen bis hin zu einem Sprint überging. Er rannte immer schneller auf das Licht zu, welches langsam aber sicher größer und damit auch greller wurde. Lorenz spürte, wie die Kraft seine Beine verließ. Er sackte in sich zusammen. Schwer atmend blickte er in die Richtung des vermeintlichen Ausgangs.

Das blendende Licht war mittlerweile so groß wie ein Einfamilienhaus und schien wie eine Art Eingang. Lorenz musste die Augen ein wenig zusammenkneifen, damit das Licht ihn nicht erblinden ließ. Er legte den Kopf in den Nacken. Es hatte etwas einladendes. Vorsichtig machte er weitere Schritte auf die Pforte zu, die sich vor ihm auftat, bis seine Füße gegen etwas stießen. Er blieb stehen und sah nach unten. Vor ihm tat sich ein großes Loch auf, welches unendlich zu sein schien und durch einen Kreis aus Backsteinen umkreist wurde. Auf einmal spürte er einen Stoß gegen seinen Rücken. Er stolperte, über die Steine, genau in das Loch hinein. Er fiel, deutlich zu lange, und je länger er fiel desto mehr Panik bekam. Würde er jetzt einfach sterben? Würde er irgendwo aufprallen und tot sein? Auf einmal stieß er auf Wasser. Dann war wieder alles dunkel.

Das laute Hupen von Autos und gedämpfte Stimmen ließen Lorenz aufschrecken. Er riss die Augen auf und schaute sich um. Er befand sich mitten auf einer Straße, höchstwahrscheinlich einer Autobahn. Um ihn herum standen viele Autos, einige hatten kaputte Scheiben oder große Dellen in den Türen oder an den Fronten. Langsam stand Lorenz auf und setzte sich in Bewegung. Seine Beine trugen ihn nur unsicher zwischen den Autos hindurch, während er sich umschaute. Die Fahrzeuge sahen mehr aus wie Wracks, denen nicht mehr zu helfen war. Er suchte nach etwas, wonach genau wusste er nicht. Ein wenig weiter hinten stand eine kleine Gruppe aus Menschen, darunter zwei Polizisten, die ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken schienen. Keines der Gesichter kam ihm bekannt vor. Vorsichtig lief er auf die Gruppe zu, doch auch als er näher kam, schienen die Personen ihn nicht zu bemerken. Erst jetzt realisierte er, dass sie alle in eine Richtung schauten. Lorenz folgte ihrem Blick und entdeckte nun einen liegenden Körper. Seine Atmung beschleunigte sich wieder, dennoch machte er weitere Schritte auf den scheinbar leblosen Körper zu. Er lag mitten auf der Straße, ein silbernes Auto in der Nähe. Wahrscheinlich gehörte das geschrottete Auto zu der Person, die hier verunglückt war. Nachdenklich ließ Lorenz sich neben dem Körper nieder und betrachtete ihn. Was genau ihn an einer Leiche so interessierte, wusste er nicht wirklich. Sein Blick schweifte von den Füßen des Körpers über seinen Bauch zu seinen Schultern bis zu seinen Händen. Er stutzte. Eine große Wunde, wahrscheinlich von einem Schnitt durch zerbrochenes Glas, erstreckte sich über die Handfläche. Lorenz Augen weiteten sich. Nun nahm er sich das Gesicht des Toten vor. Kein Zweifel: Die Leiche war er.


Im Deutschunterricht der Klasse 8 stehen Kurzgeschichten auf dem Programm. Diese werden analysiert, interpretiert, aber auch selbst geschrieben. Als Inspiration dienten dazu sogenannte Tiny Tales, also Ultrakurzgeschichten im Twitter-Format. Besonders geprägt hat diese der deutsche Autor Florian Meimberg, der vor allem auf Twitter seine Tiny Tales teilt. Die folgende Tiny Tale (Quelle: Twitter) war die Vorlage zu dieser Kurzgeschichte:

[Fotos: www.pixabay.com]