Zeitzeugengespräch zum Gedenktag am Graf-Stauffenberg-Gymnasium

“Die Frau vom Checkpoint Charlie” und ihr Kampf um Freiheit

Ein Bericht von Lilli Weiser und Jasmin Babikir, 12. Jahrgangsstufe

„Wo Liebe ist, wird das Unmögliche möglich“- so erklärt Jutta Fleck, die als Frau vom Checkpoint Charlie bekannt ist, ihren Fluchtgeschichte aus der DDR den Zwölftklässler*innen des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums.

Das Einladen von Zeitzeug*innen hat am GSG schon lange Tradition und so war es am Mittwoch, dem 26.08.2020 trotz Coronamaßnahmen möglich, dass Jutta Fleck gemeinsam mit ihrer Tochter Beate Gallus nun schon zum dritten Mal in Folge ihre Geschichte erzählte.

Dies fand im Zuge des Graf-Stauffenberg-Gedenktages vom 20. Juli statt, denn, „trotz des anderen Kontextes stehen sowohl Graf Stauffenberg als auch Jutta Fleck für Mut und Zivilcourage in Situationen von Gefahr“, so Klaus Hartwich, Schulleiter des GSG.

Mit 35 Jahren beschließt Jutta Fleck 1982 ihrem Wunsch nachzugehen und von Sachsen aus in die BRD zu fliehen, mit einem Ziel: eine bessere Zukunft für ihre zwei Töchter Beate (9) und Claudia (11).

(Quelle: pixabay.com)

Ein Leben in einer Diktatur war für Jutta Fleck unvorstellbar und so kam es zu dem mutigen Fluchtversuch 1982. Über einen jugoslawischen Arbeitskollegen kam Jutta Fleck an einen Kontakt, der ihr verriet, wie die Flucht in die Freiheit gelingen konnte. Maßgeblich dafür war eine Sache: grüne BRD-Pässe mit neuen Identitäten für Familie Fleck. Im Sommer 1982 traten die Flecks also eine Urlaubsreise nach Bulgarien an (früheres Drittland der DDR), jedoch nicht um Urlaub zu machen, sondern auf dem Rückweg durch Rumänien sollten ihnen durch einen Mittelsmann die bundesdeutschen Pässe übergeben werden, mit denen es dann über die Donau nach Jugoslawien gehen sollte. Doch wie sich später herausstellte, wurden die Flecks verraten und sechs schreckliche Jahre in Angst, Schrecken und Gefühlskälte standen ihnen bevor. Mutter und Töchter wurden getrennt und unter höchster Militärbewachung zurück nach Deutschland geflogen.

Die Kinder kamen ins Heim, die Mutter nach Hoheneck, eine Haftanstalt für weibliche Gefangene, in welcher Schikanen, Misshandlungen und Psychoterror, vor allem an politischen Gefangenen, zum Alltag gehörten. Briefe ihre Töchter bekam sie nur selten und jegliche Anzeichen von Liebe und Zuneigung wurden darin verboten. Dies hatte das Ziel den Töchtern einzutrichtern, ihre Mutter würde sie nicht mehr lieben. Doch das Vertrauen und die starke Liebe, die zwischen Töchtern und Mutter herrschte, konnte sie nie entzweien.

Schloß Hoheneck (hier Wachturm): 1861/62 wurde die königlich-sächsische Weiberzuchtanstalt Hoheneck eingerichtet, die während der DDR Zeit als Gefängnis für politische Häftlinge genutzt wurde. (Quelle: Margotinlove, Schloß Hoheneck – Wachturm, CC BY-SA 3.0)

Auch im Kinderheim, in welches die beiden Töchter gesteckt wurden, mussten die beiden, wie Beate Gallus den 12. Klässler*innen erzählte, einen ,,Liebesentzug“ erleben: Sie wurden nicht als die Kinder Beate und Claudia betrachtet, sondern waren die Kinder der Verräterin, durften kaum Briefe an ihre Mutter schreiben und hatte immer das Gefühl fehl am Platz zu sein. Frau Gallus erzählte von einem Identitätsverlust, den sie erleben musste, denn nur das Kollektiv hatte damals in DDR-Zeiten einen Wert, Freiraum für die Bildung eines Individuums wurde kein Wert gegeben.

1984 wurde Frau Fleck nach fast zwei Jahren politischer Haft vom Westen freigekauft. Doch nun begann erst der richtige Kampf für die Powerfrau: das Nachholen ihrer beiden Töchter in den Westen.  Jutta Flecks Mission war, „als einfacher Mensch etwas erreichen zu können“, und so wurde sie zur Symbolfigur für den friedlichen Widerstand gegenüber der DDR-Diktatur. Frau Fleck begann Briefe an alle möglichen Politiker*innen zu schreiben, wandte sich mit ihren Freund*innen an die Öffentlichkeit, war beim Papst, kettete sich am 10. Jahrestag der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) an ein Geländer, verteilte Flugblätter, hatte diverse Fernsehauftritte und stand ein halbes Jahr täglich am Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie mit dem Plakat „Gebt mir meine Kinder zurück!“.

Checkpoint Charlie: innerdeutscher Grenzübergang in Berlin (März 1970) (Quelle: Roger Wollstadt, Berlin – Checkpoint Charlie, CC BY-SA 2.0)

Am 13. August 1986 gelang es Frau Fleck bei einer offiziellen Gedenkveranstaltung im Reichstag vom Rednerpult aus, einen Appell an Helmut Kohl und Willy Brandt zu richten. Knapp zwei Jahre später war es dann so weit: am 25. August 1988 kommt es zum großen Wiedersehen zwischen den Töchtern und ihrer Mutter. Nachdem sie sechs Jahre voneinander getrennt waren, konnten sie sich dank des Muts, Kampfgeistes und der Anstrengungen ihrer Mutter wieder in die Arme schließen.

Nach dem Erzählen dieser aufregenden Geschichte waren die Schüler*innen sichtbar berührt, so wurde auch bis in die Pause hinein noch das Schicksal der Familie Fleck besprochen und diskutiert. Das offenkundige Interesse zeigte sich auch an den zahlreichen Fragen, die am Ende des Vortrags noch gestellt wurden, sodass der Austausch sogar erst nach Schulschluss beendet wurde.

Wie schon zu erwarten, haben die drei vorgesehenen Schulstunden nicht gereicht, die facettenreiche Familiengeschichte der Flecks komplett zu durchdringen. Jedoch wurde bei den Schüler*innen neue Motivation geweckt mit neuer Wissbegierde in die nächsten Geschichtsstunden zu starten.

Wer noch näher an der packenden Biographie von Jutta Fleck und ihren Töchtern interessiert ist, kann sich mittels des mitreißenden Buchs ,,Die Frau vom Checkpoint Charlie“ oder des gleichnamigen Films einen tieferen Einblick in diese Familientragödie verschaffen.

Vielen Dank für den spannenden Vormittag, Frau Fleck und Frau Gallus!