SERIE: Geschichte, die beschäftigt (Part I)

Der Völkermord an den Herero und Nama – Ein misslungener Aufstand mit verheerenden Folgen

ein Faktencheck von Daniil Tkatchev

(Quelle: pixabay.com)

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Zeitalter eingeläutet, welches heute als „Imperialismus“ bezeichnet wird. Großmächte aus allen Teilen Europas versuchten durch die Expansion auf andere Kontinente, ihre wirtschaftliche und politische Machtsphäre zu erweitern. Sie alle hatten dasselbe Ziel: Die Sicherung ihrer Vormachtstellung in der Welt. Dieses Ziel wurde durch rücksichtslose, ausbeutende und menschenverachtende Politik in den gegründeten Kolonien durchgesetzt.

Auch das Deutsche Reich steuerte zwischen 1884/85 einen Kurs in Richtung Kolonialpolitik an. Nun war nur noch vom deutschen „Platz an der Sonne“ und einer „Weltpolitik“ die Rede – die Expansion des Deutschen Reiches hatte begonnen. Neben Kolonien im Pazifik und Asien wurden auch Gebiete in Afrika erschlossen. Eines dieser Gebiete war das heutige Namibia, damals noch Deutsch-Südwestafrika genannt.

Im Jahr 1883 erwirbt der deutsche Tabakhändler Adolf Lüderitz einen Landstrich in Afrika („Lüderitzbucht“), den er einem der indigenen Völker, den Nama, abkaufte. Ein Jahr später wird dieses Gebiet unter dem Namen „Deutsch-Südwestafrika“ zu einer offiziellen deutschen Kolonie erklärt. Nachdem angeblich wertvolle Rohstoffe (Gold, Diamanten) in Deutsch-Südwestafrika gefunden wurden, erfolgte eine Zuwanderung deutscher Siedler und es kam zu Landkäufen weiterer Territorien. Die indigene Bevölkerung, in erster Linie die Herero, wurden dadurch aus ihrem Heimatgebiet zurückgedrängt. Hinzu kam noch die Rinderpest (1897), wodurch die Herero, die traditionell Rinder züchteten, ihre Haupteinnahme fast vollständig verloren haben. Ohne fruchtbares Land oder stabiles Einkommen waren die Herero gezwungen, Lohnarbeiten auf deutschen Farmen zu suchen. Die Herero waren auch Opfer von rassistischer Diskriminierung und Misshandlung seitens der deutschen Siedler; sie waren wirtschaftlich sowie gesellschaftlich benachteiligt. Nachdem die deutsche Schutzmacht versuchte, die Waffenaneignung der Stämme einzuschränken, brachte dies das Fass zum überlaufen und als Folge einiger Revolten kam es schließlich im Januar 1904 zum Aufstand der Herero gegen die Kolonialherrscher, dem sich später auch die Nama anschlossen.

Angeführt von Samuel Maharero begannen die Herero deutsche Handelszentren, Einrichtungen und Farmen zu überfallen. Zu der Zeit waren kaum deutsche Truppen in den überfallenen Gebieten stationiert, weshalb die Reichsleitung Verstärkung unter dem Kommando von Generalleutnant Lothar von Trotha aussandte.

Die entscheidende Schlacht gegen die Herero wurde im August 1904 bei Waterberg geschlagen. Die Herero erlitten schwere Verluste gegen Trothas Truppen, konnten allerdings in die Omaheke Wüste, ein trockenes Gebiet mit sehr wenigen Wasserquellen, fliehen. Die Schutztruppen umzingelten die Überlebenden in der Wüste und hielten sie systematisch von den Wasserquellen fern. Der Großteil des Stammes ist auf der Suche nach Wasser in der Omaheke-Wüste verendet.

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Im Juli 1904 überfielen einige Stammesmitglieder der Nama unter Befehl von Jakob Morenga ebenfalls deutsche Siedler. Nach einem Triumph gegen die deutschen Schutztruppen erhielt Morengas Aufstand immer mehr Zuwachs. Als der Kapitän des Witbooi Stammes Hendrik Witbooi von Trothas unmenschlichen Methoden der Niederschlagung erfuhr, wechselte er auf die Seite der Nama. Daraufhin schlossen sich immer mehr dem Aufstand an.

Am 2. Oktober 1904 gab Lothar von Trotha einen Vernichtungsbefehl gegen die verbleibenden Herero bekannt, was den Völkermord offiziell einleitete:

„Ich der große General der Deutschen Soldaten sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero.

Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers“

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Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen und Kinder wurden aufgesucht und erschossen. Erst im Dezember 1904 gab Kaiser Wilhelm II. den Befehl, die nicht am Aufstand beteiligten Stammesmitglieder zu begnadigen. Die Überlebenden wurden in Konzentrationslagern gesammelt und mussten Zwangsarbeit verrichten. Die Auseinandersetzungen im Osten der Omaheke-Wüste wurden jedoch weiterhin im Geheimen fortgesetzt. Trotzdem gelang es dem Anführer des Aufstandes, Samuel Maharero, mit etwa 1500 Überlebenden über die Omaheke-Wüste in britisches Kolonialgebiet zu fliehen.

Der Aufstand der Nama setzte sich allerdings noch fort. Im Vergleich zu den Herero, mieden die Witbooi und Nama den offenen Kampf und griffen eher aus dem Hinterhalt an. Nach einigen geglückten Guerillaübergriffen, verhängte Lothar von Trotha im April 1905 einen weiteren Vernichtungsbefehl:

„An die aufständischen Hottentotten.

Der mächtige, große deutsche Kaiser will dem Volk der Hottentotten Gnade gewähren, daß denen, die sich freiwillig ergeben, das Leben geschenkt werde. Nur solche, welche bei Beginn des Aufstands Weiße ermordet oder befohlen haben, daß sie ermordet werden, haben nach dem Gesetz ihr Leben verwirkt. Dies tue ich Euch kund und sage ferner, daß es den wenigen, welche sich nicht unterwerfen, ebenso ergehen wird, wie es dem Volk der Hereros ergangen ist, das in seiner Verblendung auch geglaubt hat, es könne mit dem mächtigen deutschen Kaiser und dem großen deutschen Volk erfolgreich Krieg haben. Ich frage Euch, wo ist heute das Volk der Hereros, wo sind heute seine Häuptlinge? Samuel Maharero, der einst Tausende von Rindern sein eigen nannte, ist, gehetzt wie ein wildes Tier, über die englische Grenze gelaufen, er ist so arm geworden wie der ärmste der Feldhereros und besitzt nichts mehr. Ebenso ist es den anderen Großleuten, von denen die meisten das Leben verloren haben, und dem ganzen Volk der Hereros ergangen, das teils im Sandfeld verhungert und verdurstet, teils von deutschen Reitern getötet, teils von den Ovambos gemordet ist. Nicht anders wird es dem Volk der Hottentotten ergehen, wenn es sich nicht freiwillig stellt und seine Waffen abgibt. Ihr sollt kommen mit einem weißen Tuch an einem Stock mit Euren ganzen Werften und es soll Euch nichts geschehen. Ihr werdet Arbeit bekommen und Kost erhalten bis nach Beendigung des Krieges der große deutsche Kaiser die Verhältnisse für das Gebiet neu regeln wird. Wer hiernach glaubt, daß auf ihn die Gnade keine Anwendung findet, der soll auswandern, denn wo er sich auf deutschem Gebiet blicken lässt, da wird auf ihn geschossen werden, bis alle vernichtet sind. Für die Auslieferung an Ermordung Schuldiger, ob tot oder lebendig, setze ich folgende Belohnung. Für Hendrik Witboi 5000 Mark, Cornelius 3000 Mark, für die übrigen Führer je 1000 Mark.“

 Es folgten weitere Kämpfe gegen die kaiserlichen Truppen, die meistens zugunsten der Deutschen ausfielen. Schließlich kam Hendrik Witbooi am 29. Oktober 1905 bei der Schlacht bei Fahlgras ums Leben. Die Witboois ergaben sich einige Zeit später. Auch wenn Morenga den Aufstand weiterführte, bis er im September 1907 ebenfalls getötet wurde, erklärte man bereits am 31. März den Aufstand für beendet.

Lothar von Trotha wurde im November 1905 von seinem Posten zurück ins Deutsche Reich versetzt und man verlieh ihm einen Orden für seine militärischen Dienste in Deutsch-Südwestafrika. Für das Vorgehen in der Kolonie fiel er zwar in die Missgunst des Kaisers, musste sich allerdings nie vor einem Gericht für seine Taten verantworten.

Der Aufstand der Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika endete im ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts – auch wenn diese Bezeichnung laut der UN-Kommission nicht richtig sei. Die Folgen des Genozids sind noch heute präsent. Namibia fordert für dieses Verbrechen seit Jahrzehnten eine offizielle Entschuldigung Deutschlands. Doch bisher herrscht Funkstille auf deutscher Seite.


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