Eine besondere Art, zu leben

Hochsensibilität

Ein Essay von Ava Zoë D’Ambrosio, 9a

Hochsensibilität – bis vor Kurzem hatte ich noch nie davon gehört. Mir war klar, dass es Menschen gibt, die sensibler sind als andere, die Kritik oder ihre Umwelt anders, empfindsamer wahrnehmen, aber dass es für die quasi höchste Stufe, die “Hochsensibilität” einen Namen gibt, das war mir nicht klar.  

Durch die Dokumentation “Hochsensibilität – Leben ohne Filter im Kopf” des WDR bin ich auf das Thema gestoßen und habe weiter recherchiert. In der Dokumentation schildert eine von Hochsensibilität Betroffene ihre Erfahrungen damit. Sie beschreibt so zum Beispiel den Unterschied zwischen Hochsensiblen und Nichthochsensiblen. Bei ersteren seien “alle Sinnesschranken offen”, was bei letzteren nicht der Fall wäre.

Hochsensible Menschen zeichnen sich durch hohe Empathie aus. Das heißt, dass sie sehr empfindsam für die Stimmung und Gefühle anderer sind. Dadurch können Hochsensible zum Beispiel sehr gute Freunde oder Freundinnen sein, aber auch einfach aufmerksame Kollegen oder Mitschüler.

Sie nehmen jeden Gesichtsausdruck ihres Gegenübers genau wahr und deuten ihn. Dadurch sind sie oft gute Zuhörer und können sehr mitfühlend sein, zum Beispiel, wenn jemand in seinen Gefühlen verletzt worden ist oder unter dem Tod eines bekannten oder geliebten Menschen leidet.

Als Hochsensibler hat man ein besonders leistungsstarkes Nervensystem – das Phänomen ist also auch wissenschaftlich erklärbar. Durch diese Stärke ist es diesen Menschen möglich, mehr Sinne aufzunehmen als andere und diese tiefer zu verarbeiten. Alles wird also auf einer anderen Ebene als bei Nicht-Hochsensiblen behandelt.  “Bei Hochsensiblen sind die psychologischen Filter schwächer ausgeprägt und die Reizverarbeitung geht tiefer”, erklärt Julia Breuer, Wirtschaftspsychologin und Coach für Hochsensibilität in einem Interview mit “Barmer”. Das betreffe sowohl Reize von innen, also Gefühle, Körperwahrnehmungen und Gedanken, sowie auch äußere Reize, wie Geräusche, Lärm oder Stimmungen innerhalb einer Gruppe – also zum Beispiel in einer Klasse in der Schule.

Durch das ständige Auseinandersetzen mit der eigenen Umwelt und dem Verhalten anderer können Hochsensible das Verhalten anderer sogar teilweise vorhersagen. Wenn jemand in einer bestimmten Situation beispielsweise mehrmals sehr ähnlich reagiert und ein Hochsensibler dies registriert, kann er oder sie dieses Verhaltensmuster in vielen Fällen auf weitere, ähnliche oder auch andere Fälle übertragen.

Nachdem das jetzt alles erstmal sehr cool und ein bisschen nach Superkräften klingt, gibt es aber auch viele Schattenseiten.  

Da man als Hochsensibler den ganzen Tag Eindrücke verarbeitet, immer wenn man einen Raum betritt, die Gesichtsausdrücke der anderen wahrnimmt und deutet, kann der ganz normale Alltag zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in der Schule auch sehr anstrengend sein. Ich stelle mir bei diesem Raum zum Beispiel einen Klassenraum voller Schülerinnen und Schüler vor. Mit den Masken, die wir im Moment tragen, ist das natürlich wieder etwas anderes. Dadurch, dass man an Menschen eigentlich nur die Augen sehen kann, hat der gesamte Körper wieder eine größere Bedeutung bekommen. In Augen kann man als Hochsensibler zwar auch ziemlich viel „lesen“, doch der gesamte Körper, zum Beispiel die Haltung oder kleinste Zuckungen können Hochsensiblen zum Deuten der Situation verhelfen.

Die Autorin Shannon Alder bezeichnete Hochsensible einmal als “Engel mit gebrochenen Flügeln”. Sie würden nur fliegen, wenn ihr sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung erfüllt sei. 

Freude und Liebe werden von Hochsensiblen sehr intensiv wahrgenommen, genauso wie Schmerz und Enttäuschung. Sie sind sehr empfindlich und werden oft verletzt, dennoch sprechen sie kaum über ihre Gefühle. Kritik ist meist sehr schmerzhaft und das Bedürfnis groß, alle anderen glücklich zu machen. Daraus folgend üben Hochsensible gerne Berufe aus, in denen man kreativ sein kann, anderen hilft oder für sie da ist, also zum Beispiel Künstler, Autor, Journalist, Arzt, Pfleger oder Lehrer.

Beispielfoto (Quelle: www.pixabay.com)

Die Welt wird von sehr Sensiblen als nicht sehr verständnisvoll wahrgenommen. Bei meiner Recherche bin ich sogar auf jemanden gestoßen, der die Welt als “für Menschen gemacht, die kleine Empfindungen ignorieren und gedankenlose Worte abwehren können”, bezeichnete – also quasi das Gegenteil von Hochsensiblen. Dennoch gibt es diese Menschen auf der Welt. In den letzten Jahren hat das Thema auch durch das von Maria Anna Schwarzberg geschriebene Buch “Proud to be Sensibelchen – wie ich lernte, meine Hochsensibilität zu lieben” mehr Aufmerksamkeit bekommen. Schwarzberg ist selbst ein “Sensibelchen” und gibt in diesem Buch durch das Erzählen ihrer eigenen Geschichte viele Tipps dazu, wie man mit Hochsensibilität umgehen sollte.  Das Buch soll aber nicht als Ratgeber fungieren, wie sie laut einer Autorin des Blogs “Wortblatt”, direkt zu Beginn des Buches schreibt. Ich persönlich habe das Buch noch nicht gelesen, möchte es aber unbedingt tun. 

Insgesamt kann ich sagen, dass ich aus meiner Recherche ein hohes Verständnis für Hochsensible von Seiten der darüber informierten Gesellschaft ziehen kann – sowohl in Blogs als auch in YouTube-Videos wurde sehr positiv darüber berichtet. Durch Schwarzbergs Buch und ihre Website haben viele Hochsensible erst entdeckt, dass sie hochsensibel sind und gelernt, damit umzugehen.  Eine YouTuberin bezeichnete Hochsensible als “da, um uns zu helfen, die Dinge zu sehen, die wir oft vermissen oder weil wir zu beschäftigt sind, sie zu bemerken”. 

Leider wissen viele Hochsensible gar nicht, dass sie hochsensibel sind und können dadurch schlechter damit umgehen. Ein Sensibelchen zu sein ist aber nichts, wofür man sich schämen müsste, nur weil man damit nicht in die heutige Gesellschaft passt, in der vor allem Leistung zählt. Im Gegenteil, auf Hochsensibilität kann man stolz sein! Sensibel zu sein, heißt, seine Bedürfnisse zu kennen, diese zu beachten und sich dann zu geben, was gerade nötig ist.