Aus dem Unterricht

Einschneidende Veränderungen verlangen entschlossenes Handeln

Ein Denkanstoß von Noelle Klasner

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Angefangen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts startete in Großbritannien die Industrialisierung. Erfindungen wie die Dampfmaschinen prägten diese Zeit, außerdem ein gesellschaftliches und wirtschaftlich vollkommen neues Denken, wie Arbeitsteilung und die Rationalisierung von Prozessen. In der damaligen freien Marktwirtschaft litten Menschen unter ihren Arbeitsbedingungen und der Kapitalismus führte zu maßloser Ausbeutung der Arbeiter. Mit dem Elektromotor um 1920 kam es fast vollständig zu Halb- und Vollautomatisierung, um 1970 begannen vollautomatische Arbeitsprozesse und nicht nur physische sondern auch geistige Arbeit wird den Menschen mit Hilfe von Computern abgenommen.

In seiner Stellungnahme von 1976 zur „Industrielle[n] Revolution und neolithische[n] Revolution“ beschreibt der italienische Wirtschaftshistoriker und Schriftsteller Carlo M. Cipolla die Industrielle Revolution als Überrollen der Menschheit mit Problemen, mit denen scheinbar niemand umzugehen wisse. Aber wie schädlich war diese Revolution tatsächlich für uns? Was ist von ihr heute noch übrig?

Im Gegensatz zur neolithischen Revolution, also dem erstmaligen Aufkommen erzeugender (produzierender) Wirtschaftsweisen (Ackerbau, Viehzucht), der Vorratshaltung und der Sesshaftigkeit in der Geschichte der Menschheit, welche den Menschen immerhin Zeit gab sich anzupassen, sei die industrielle Revolution so plötzlich gekommen, dass massive Probleme durch die großen Umstellungen entstanden seien. Die industrielle Revolution sei ausschlaggebend für eine komplette Wandlung der Strukturen bezüglich der Gesellschaft beispielsweise gewesen, und auch heute bringe sie weiterhin viele verschiedene Probleme mit sich, die so unkontrollierbar scheinen würden, dass man sie kaum bewältigen könne – Probleme, die von modernster Gentechnik und ethischen Problemen über unkontrollierten Bevölkerungszuwachs, bis hin zu Atom- und Industriemüll, um nur einige Beispiele zu nennen, gehen würden. Die industrielle Revolution veränderte schlagartig sämtliche bekannten Strukturen, dass Konservative verbittert an alten, nicht mehr existierenden Strukturen festhalten, während die jüngere Generation ebenfalls keine besseren Lösungen findet.

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Zu Beginn seines Aufsatzes nennt Cipolla einige der Herausforderungen, die schlagartig aufgetreten seien und zu einer gänzlichen Umgestaltung menschlichen Lebens geführt hätten, dazu zählten unter Anderem Probleme, die man auch heute, über 40 Jahre später, noch feststellen kann, aber auch Probleme, die tatsächlich mehr oder weniger geregelt sind. Zu letzteren zählt beispielsweise der „unkontrollierte […] Bevölkerungszuwachs“, der in westlichen Ländern heute praktisch nicht mehr vorhanden ist. Als weitere Probleme nennt der Autor die Wasserstoffbombe, sowie die „Verpestung der Luft und der natürlichen Umgebung durch Industriemüll“ – Probleme, die sich bis heute gehalten, wenn nicht sogar deutlich verstärkt haben: trotz des vollständigen Verbots von Atomtests 1996 ist die Gefahr durch die Wasserstoffbombe real, erst vergangenes Jahr testete Nordkorea erneut weitere Atomwaffen; Nordkorea ist neben Indien und Pakistan das einzige Land, das das Verbot noch nicht unterzeichnet hat.

In vielen Großstädten können die Menschen nicht mehr ohne Mundschutz vor die Tür gehen, der Smog legt sich als dichter, giftiger Nebel über die Straßen. Fahrverbote und die Notwendigkeit, ein umweltbewusstes Leben zu führen, sind die Folge. Auch die schädlichen Emissionen und andere Schadstoffe wie Feinstaub, tragen zur Verpestung der Umwelt bei und können ebenfalls als Industriemüll angesehen werden. Oder die riesigen Plastikinseln – Mikroplastik in Fischen, auch in denen, die viele auch gerne essen, und keiner weiß wirklich, was das Mikroplastik im Menschen und mit dem Menschen macht. Wir vergiften nicht nur unsere Umwelt mit Müll – mit radioaktivem Müll, mit Schadstoffen, mit Plastik, mit jeglicher Art chemischen Mülls in Form von Abwässern, die direkt von den Fabriken ins Meer geleitet werden – wir vergiften so lange unsere Umwelt, bis wir uns selbst vergiften. Denn wer läuft durch die Städte und stirbt irgendwann an den Folgen der Schadstoffe, die wir alle paar Sekunden durch die Lunge einatmen? Wer hat das Mikroplastik, was nahezu überall verwendet wird, irgendwann im Körper? Wer weiß irgendwann nicht mehr, wohin mit dem ganzen Atommüll? Wer beschwert sich irgendwann, wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen, weil diese von reichen Staaten vergiftet und zugemüllt wird, sodass die Menschen nicht einmal sauberes Wasser haben, geschweige denn sonstige Mittel wie Geld oder genügend Essen zum Überleben – und das alles, weil sie von Großkonzernen und reichen Staaten ausgebeutet werden. Ist das Recht auf Wasser zum Beispiel nicht ein Menschenrecht?

Ein weiteres Problem, das Cipolla nennt, ist die „Massenerziehung“ – also die einheitliche, unpersönliche Erziehung von vielen – ohne Berücksichtigung von Individualität. Eine Maßnahme, die vor allem eingesetzt wurde, um eine Meinung in die Köpfe der Menschen zu pflanzen. Instrumente der Massenerziehung waren in der DDR beziehungsweise in der NS-Zeit vor in erster Linie Propaganda durch Medien, Bücher, Radio, und Zeitung. Außerdem beinhaltet Massenerziehung eine Art militärischen Drill – so wurden viele Menschen, Massen an Menschen, manipuliert und beeinflusst, um sich zu einer gefügigen Masse zusammenzufügen und Individualität, insgesamt andere Meinungen, zu unterdrücken. Im Vergleich zu heute ist dieses Problem zwar in großen Teilen nicht mehr so akut wie damals; schaut man aber beispielsweise nach China oder Nordkorea, kann man diese „Methodik“ weiterhin feststellen. Aber auch wir dürfen nicht vergessen, dass Informationen sehr unterschiedlich und interpretativ wiedergegeben werden können. Wir dürfen nicht vergessen, uns eine eigene Meinung aus vielen Perspektiven und Quellen heraus zu bilden und nicht die zu übernehmen, die uns gerade präsentiert wird.

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Als weiteres Problem nennt Cipolla den demographischen Wandel in Bezug auf die Altersstruktur. Demnach gäbe es immer mehr ältere Menschen, die immer länger lebten, aber auch immer deutlicher abgewiesen werden würden. Zum einen ist dieser Wandel auch heute deutlich erkennbar, zumindest in wohlhabenderen Ländern. Des Weiteren wird auch die Altenpflege zu einer immer größer werdenden Herausforderung; es gibt heutzutage (von Deutschland ausgehend) viel zu wenige Pflegekräfte. Aber der enorme Mangel ist nicht etwa dadurch zu erklären, dass ältere Menschen von der Gesellschaft abgestoßen werden würden – vielmehr an der unverdient schlechten Bezahlung, die nicht einmal die Finanzierung des eigenen Lebens garantiert. Schlechte Arbeitsbedingungen, wie schlechte Bezahlung, psychische und physische Belastungen, werden weiterhin aufrechterhalten. Das Interesse der CDU/CSU beispielsweise scheint aber nicht groß genug, um an einer Lösung arbeiten zu wollen.

Durch die Industrielle Revolution sei außerdem noch das Problem der „unbegrenzten Möglichkeiten“ hinzugekommen. Durch die Forschung in Biologie und Chemie zum Beispiel sind auch heute Dinge möglich, die früher undenkbar schienen. Allerdings sind Wissenschaftler*innen auch dem Gesetz unterlegen, das sie in ihren Möglichkeiten doch etwas einschränkt. Denn mit neuen Entdeckungen in der Genetik oder auch beim Thema des autonomen Fahrens bilden sich gleichzeitig ethische Konflikte, die die Wissenschaft eingrenzt.

Obwohl durch die Industrielle Revolution so viele Konflikte und Schwierigkeiten entstanden sind, die auch heute zum größten Teil noch vorhanden sind, ist die industrielle Revolution doch für erhebliche Fortschritte vor allem in Technik, Wirtschaft und Wissenschaft verantwortlich, weshalb die Voraussetzungen, die durch diese Revolution entstanden sind, sowohl negative, als auch sehr fortschrittliche und positive Aspekte mit sich gebracht haben.

Eine vollkommen falsche Reaktion auf die heutige Situation ist jedenfalls an den alten, bereits verfallenen Strukturen, festhalten zu wollen. Wir brauchen Offenheit für neues und fremdes, Toleranz und lösungsorientierte statt beklagender Gedanken.

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Es geht nicht um die Frage, ob unsere Lebensweise ohne die Folgen der Revolution besser oder schlechter wäre – Fakt ist, die Zustände sind so wie sie jetzt sind. Beklagen und beschweren bringt uns nicht weiter – natürlich hätte einiges anders laufen können, aber ändern können wir lediglich die Zukunft und diese Chance sollten wir nutzen und schätzen. Ob in Form von Protesten wie Friadys For Future, eines bewussteren und nachhaltigeren Lebens oder anderen Formen von Engagement und Meinungsäußerung. Es geht darum, wie wir mit dem was wir haben umgehen und was wir daraus machen. Schimpft man lieber auf Veränderung, blendet man Gefahren aus, quasi auf direktem Weg in eine unumkehrbare Klimakrise, und will man die alte Ordnung wieder zurück? Oder befasst man sich mit den Folgen, die das eigene Handeln hat, probiert Lösungen zu finden und sich gegebenenfalls anzupassen? Um Probleme zu lösen, muss man etwas verändern – auch wenn die Entscheidung zur Veränderung selbst, Reaktionen auf diese Veränderung oder die Veränderung selbst unangenehm ist. Fahrverbote werden nicht beschlossen, um Autofahrer zu ärgern – sie werden beschlossen, um die Schäden, die Autoindustrie und Verbraucher*innen verursacht haben, wenigstens Stück für Stück zu lindern. Wenn man das Problem einfach jahrelang ausblendet, verleugnet und über die lacht, die darauf hinweisen, müssen eben radikale Maßnahmen ergriffen werden. Dann hilft es auch nicht, zur Beruhigung der Autofahrer*innen, das Problem klein zu reden und die Emissionsgrenzen anzuheben, beziehungsweise Gesetze so anzupassen, wie sie einem gefallen, um auch die Autoindustrie nicht verärgern zu müssen. Dann müssen radikale Maßnahmen auch radikal durchgesetzt werden.