Analyse der JUNIORWAHLEN 2018

MEHR ENGAGEMENT ALS ERWARTET

eine Analyse von Daniil Tkatchev

Kurz vor den hessischen Landtagswahlen am 28. Oktober 2018 fanden vom 22.10. bis zum 24.10. die alljährlichen, hessenweit ausgetragenen Juniorwahlen am Graf-Stauffenberg-Gymnasium in Flörsheim am Main statt. Dort hatten hunderte Schüler die Möglichkeit, die Parteien zu wählen, die ihnen am meisten zusprachen und ihre Meinung, in einem gewissen Rahmen, geltend zu machen. Zusätzlich stimmten die Schüler auch über die Änderungsvorschläge der hessischen Verfassung ab. Es wurde bis zum Schluss fleißig abgestimmt. Als dann die Wahlergebnisse die Woche darauf veröffentlicht wurden, kam es teilweise zu erwarteten, teilweise aber auch zu überraschenden Ergebnissen, die sich von den bisherigen Wahlen maßgeblich unterscheiden und vielleicht auf einen Umbruch in der zukünftigen Politik hindeuten.

Mittwoch, 24. Oktober 2018, 11:30 Uhr. Eine Schlange zieht sich durch das erste Stockwerk des B-Gebäudes hin zum Raum B151, wo ein Wahllokal vor wenigen Tagen aufgebaut wurde. Einige Schüler stehen bereits an, andere lehnen sich noch entspannt zurück oder machen in letzter Minute einen „Wahl-O-Mat“-Test.

Am Graf-Stauffenberg-Gymnasium sind Juniorwahlen angesagt: Die Schüler melden sich unter ihrem Namen an, werden von den Juniorwahl-Helfer/-innen zu einer Wahlkabine weitergeleitet und bekommen erklärt, welcher Zettel in welche Urne gehört. Der Wahlraum ist sehr weitläufig, sodass man viel Auswahl beim Sitzplatz hat. Jeder Sitzplatz ist mit Trennwänden vom anderen abgeschnitten und bietet, wie bei einer richtigen Wahl, die nötige Privatsphäre. Nachdem sich jeder Schüler seine Zeit nimmt, um eine Entscheidung zu treffen, kann er ohne viel Verzögerung seine Wahlzettel in die jeweils dafür vorgesehene Urne werfen. Damit endet für die meisten Schüler am GSG die Juniorwahl.

Bei den diesjährigen Juniorwahlen wurde nicht nur über die Verteilung der Sitzplätze im hessischen Landtag abgestimmt, sondern auch über grundlegenden Änderungen der hessischen Verfassung, die von Richtlinien zur erhöhten Digitalisierung bis hin zur Abschaffung der Todesstrafe und Einführung von sogenannten „Staatszielen“ reicht. Die Juniorwahlhelfer/-innen trugen alle Daten zusammen und veröffentlichten schließlich ein Wahlergebnis zu beiden Wahlen. Die folgende Wahlanalyse wirft Licht auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf der schulischen bis hin zur bundesweiten Ebene der Juniorwahlen während der letzten Legislaturperiode (2013-2018).

Hin und Zurück – Die Ergebnisse der Juniorwahlen in Flörsheim und Hessen:

Die Grünen haben dieses Jahr mit 32,5% die meisten Stimmanteile bei den Juniorwahlen erzielt. Die CDU zieht mit etwa der Hälfte nach, während die SPD 2% mehr als die FDP erhielt und diese so knapp überholte. Die Linke ist gerade so mit 6,3% über die 5%-Marke gekommen, während Die Partei (4,3%), AfD (3,5%) und die Freien Wähler (3,5%) noch darunter liegen.

Seit den letzten Juniorwahlen, die in Verbindung mit den Landtagswahlen standen (2013), hat die CDU ihren Posten als meistgewählte Partei an die Grünen abgegeben und verlor über den Zeitraum von fünf Jahren, ebenso wie die SPD, ca. 7% ihrer Wählerstimmen. Die Grünen hingegen, schon früher ganz vorne bei den Juniorwahlen am GSG dabei, erhielten einen Zuwachs von 11,5%. Die FDP gewann nach 2013 wieder an Wählerstimmen dazu und die Linke ist erneut mit 5% gerade so durchgekommen. Auffallend ist das Fehlen der Piraten am GSG: Mit 14% der Wählerstimmen bei den Juniorwahlen 2013 hatten sie zwar nicht die meisten Stimmen, waren jedoch damit solide im Rennen. Bei den Juniorwahlen 2018 fehlt von ihnen jede Spur. Stattdessen sind dieses Jahr mehr Parteien vertreten, die nur einen Bruchteil der Stimmen für sich beanspruchen konnten (ungefähr 3%-4%) wie zum Beispiel die Partei, die AfD oder die Freien Wähler. Diese Veränderung ist nicht nur bei den Juniorwahlen an unserer Schule anzutreffen, sondern auch auf hessenweiter Ebene. Die Wahlergebnisse am Graf-Stauffenberg-Gymnasium resonieren daher stark mit den hessischen Juniorwahlen.

Die Grünen konnten sich auch hier mit 29,6%  die Mehrheit sichern, gefolgt von der CDU mit 18,1% und der SPD mit 15,1%. Die Stimmverteilung der drei meistgewählten Parteien ähnelt den Wahlergebnissen am GSG sehr. Die FDP hat auf hessenweiter Ebene 2,3% einbüßen müssen. Die Linke bewegt sich erneut um einen Wert von 6% herum. Die AfD hingegen hat mehr als das Doppelte an Stimmenanteilen als am GSG.

Die Ergebnisse der Juniorwahlen 2013 in Hessen stimmen wieder stark mit denen vom GSG überein. An erster Stelle steht die CDU mit 26,2%, danach die SPD mit 22,2% und die Grünen folgen mit 16,6% nach. Die Piraten sind hier, wie bei den Juniorwahlen 2013 am GSG, noch vertreten und halten sich mit 12,2% an die Grünen heran. Linke und FDP erhielten wieder knapp 6% der Stimmen. Bei den Juniorwahlen 2013 ist noch die Anzahl an Parteien an der Front überschaubarer als im Jahr 2018. Dies gleicht, ebenso wie die Stimmenverteilung, den Wahlergebnissen vom GSG aus 2013. Allerdings hat hessenweit die SPD ca. 6% mehr Wählerstimmen als die Grünen, während hingegen am GSG die Grünen mit 3% vor der SPD lagen. Es lässt sich daher bei den hessenweiten Juniorwahlen ein ähnlicher Wandel beobachten wie am GSG.

Realitätsvergleich – Hessische Landtagswahlen:

Die CDU ist, wie bei den letzten Landtagswahlen, erneut an der Spitze und übertrumpft Grüne und SPD um 7,2%.  Beide erhielten 19,8% der Stimmen (ob nun die Grüne oder die SPD mehr Stimmen hat ist noch umstritten). Die AfD hat mit einem Zuwachs von 9% einen deutlichen Aufschwung erfahren, sodass die FDP mit 7,5% und die Linke auf ihren vertrauten 5% bis 6% von der AfD überholt wurden. Trotz des immer noch sichtbaren Vorsprungs der CDU, hat diese  Stimmen einbüßen müssen – dasselbe gilt für die SPD. Beide Parteien haben dieses Jahr ungefähr 10% weniger Wähler als noch im Jahr 2013, während die Wählerstimmen für die Grünen um 8,7% angestiegen sind.

Bei den Landtagswahlen sieht man die Parteien, die seit einer Weile die Vormachtstellung der hessischen Politik für sich beanspruchten, an Einfluss verlieren. Dieselbe Änderung lässt sich auch bei den Juniorwahlen beobachten. Dort ist viel Zustimmung mit den Grünen zu erkennen, die sich auch über die Jahre bei den Landtagswahlen entwickelt.  Aber auch die AfD erhält von Jahr zu Jahr mehr Anhänger. Der Zuwachs ist bei den Landtagswahlen weitaus höher als bei den Juniorwahlen, wo man andere Alternativen vorzieht. Dadurch hat sich vor allem dort das politische Spektrum etwas mehr gestreut. Langsam wird ein Wandel des politischen Klimas immer deutlicher, sowohl in den Schulen als auch außerhalb, und wird sich vermutlich die nächsten Jahre auch fortsetzen.

Volksabstimmung – Juniorwahlen:

Am Graf-Stauffenberg-Gymnasium stimmte die Mehrheit allen Gesetzesänderungen zu. Jedoch tanzen einige Artikel aus der Reihe. So zum Beispiel Artikel 21 und 109 (Aufhebung der Regelungen zur Todesstrafe) oder Artikel 75 (Herabsetzung des Wählbarkeitsalters). Auch Artikel 120 und 121 (Elektronische Verkündung der Gesetze) und Artikel 26a (Aufnahme des Staatszielbegriffs) zeigten im Durchschnitt eine stärkere Meinungsverschiedenheit zwischen den Wählern als bei den anderen Beschlüssen zu sehen war. Artikel 75 hat mit 57,12% die niedrigste Zustimmung erhalten – Artikel 26a folgt mit 70,55% nach. Bei den Artikeln zur Abschaffung der Todesstrafe und Digitalisierung von Gesetzesverkündungen stimmten ca. 74% mit „Ja“ ab.

Bei den hessenweiten Abstimmungen ist die Zustimmung für die Gesetze zwar nicht gleich, aber dennoch sehr ähnlich. Auch hier stimmen die Schüler allen Gesetzesänderungen zu. Genauso wie am GSG haben dieselben Artikel eine überdurchschnittliche Ablehnung seitens der Wähler erhalten, das Herabsetzen des Wählbarkeitsalters wieder einmal weit voran mit 35% der Stimmen dagegen. Bei den anderen Artikeln mit außergewöhnlich hoher Ablehnung (21 und 109, 26a, 120 und 121) waren jeweils knapp ein Viertel der Schüler in Hessen gegen die Änderungen. Allgemein waren die hessischen Schüler kritischer gegenüber den abgeänderten Gesetzen – im Vergleich zu der durchschnittlichen Ablehnung von Gesetzen am Graf-Stauffenberg-Gymnasium (ca. 16,86%) ist diese in ganz Hessen etwas höher ausgefallen (ca. 18,37%).

Volksabstimmung – Landtagswahlen:

Bei den offiziellen Wahlen war die Anzahl an Wählern, die den Änderungen zustimmten, noch höher als bei den Juniorwahlen, sodass auch hier alle Gesetze mit einer eindeutigen Mehrheit an Wählerstimmen durchgewinkt wurden. Die Gesetzesänderung, der am wenigsten zugestimmt wurde, war auch hier Artikel 75 (70,3% Zustimmung). Ansonsten ist die Verteilung, abgesehen von Artikel 120 und 121 und Artikel 64 (Bekenntnis zur Europäischen Integration), relativ gleichmäßig.

Sowohl in den Schulen als auch in den offiziellen Wahlkabinen wurde allen Gesetzen zugestimmt. Auffällig ist, dass die Schüler Artikel 75 besonders kritisch betrachten, was unter Annahme des näheren Bezugs als Zielgruppe des Gesetzes nachvollziehbar ist. Auch am Konzept einer digitalisierten Gesetzesverkündung scheinen die Schüler weitaus mehr zu zweifeln als Erwachsene. Als gerade die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, hätte man von ihnen mehr Zustimmung für den Gesetzesvorschlag erwartet. Vielleicht hängt diese Ablehnung gerade mit dem guten Kentniss des Internets zusammen. Generell scheinen die Schüler die Einführung von neuen Gesetzen mit viel mehr Skepsis zu betrachten und haben dadurch einen kritischeren Standpunkt als Wähler bei den Landtagswahlen. Ungewöhnliche Ergebnisse wie z.B. die überraschende Anzahl an Schülern, die gegen die Abschaffung der Todesstrafe stimmten, ist höchstwahrscheinlich auf einige zurückzuführen, die in manchen Bereichen die Wahl nicht gerade allzu ernst genommen haben.

Allgemein kann man bei den Volksabstimmungen keinen ausschlaggebenden Unterschied zwischen den Junior- und Landtagswahlen sehen. In beiden Fällen hatten dieselben Änderungsvorschläge einen größeren Anteil an Wahlbeteiligten, die den Vorschlag ablehnten. Ob dieses Ergebnis wegen einer generellen Übereinstimmung mit den Änderungen  oder einer politischen Abfärbung aus dem Elternhaus entstanden ist, ist nicht klar erkennbar – daher kann man in dem Punkt nur Vermutungen aufstellen.

Was taugen nun die Juniorwahlen an unserer Schule?

Am Graf-Stauffenberg-Gymnasium scheinen sich mehr Schüler für Politik zu engagieren als auf den ersten Blick vielleicht erkennbar ist. Sowohl bei den Parteiwahlen als auch bei der Volksabstimmung setzen viele ihre Vorstellungen durch. Dies spiegelt sich dann auch in den Wahlergebnissen wieder, die nicht danach aussehen, als wenn jeder allem zustimmte, ohne sich zumindest kurz damit auseinandergesetzt zu haben. Dies ist wahrscheinlich auch auf die Vorbereitung in den PoWi-Kursen zurückzuführen, die sich mit den wichtigen Themen befasst haben. Und die Vorbereitung wirkt auf Dauer: Wenn man sich die Wahlergebnisse vor fünf Jahren anschaute, sah man wenig Unterschied zu den Landtags- oder Bundeswahlen. Das Näherbringen von Wahlen und damit auch das Näherbringen der politischen Verantwortung in einer Demokratie hat über die Jahre hinweg an Schülern gehaftet, sodass sie nun vielleicht auch aus eigenen Interessen wählen gehen und ihrer Meinung Wert verleihen.

Nicht nur die Wirkung der Juniorwahlen auf den Schüler sondern auch die Organisation dieser ist auf unserer Schule meiner Meinung nach gut gelungen. Am Wochenende nach den Juniorwahlen fanden bekanntermaßen die Landtagswahlen in Hessen statt. Den Ablauf dieser Wahlen hat man am GSG schon im Voraus realistisch, aber dennoch schülerfreundlich, nachgestellt.

Vielleicht werden die Wahlergebnisse hitzige Diskussionen entfachen oder Schülern neue Sichtweisen der jetzigen Politik offenbaren. Vielleicht wird es die Schüler auch gar nicht interessieren. Nichtsdestotrotz sind die Juniorwahlen 2018 auf eine gewisse Weise einzigartig gewesen und es lässt sich nun nur noch abwarten, ob sich die politischen Tendezen dieses Jahres auch in Zukunft fortsetzen werden.