Fokus

Eine Kurzgeschichte von Lukas Harper, Klasse 7c

Kaum öffnete Heinrich die schwarze Tür des noblen Rolls Royce, um mich ins Freie zu lassen, kam mir die Schülerschar schon entgegen. Ausgestattet mit Stiften und Fotos drängten sie sich um meinen Chauffeur und mich. Heinrich sah mich an, ich nickte verbittert. Er stieg vorne links ein und fuhr davon. 

Im Augenwinkel sah ich noch die roten Rücklichter, als sich ein dünner Mann mit grauem schütterem Haar aus der Menge löste. Ich stöhnte unmerklich, leider wohl trotzdem zu laut, denn ich bemerkte, wie sich sein Gesicht um ein Lächeln bemühte. 

“Willkommen!” Wow. Waren das die ersten Worte, mit denen ich gerade hier empfangen wurde? “Pink mein Name. Wilhelm Pink. Seit 38 Jahren Schulleiter am wunderschönen Eckhard von Waldbuchen Gymnasium.” – “Alles klar”, sagte ich und sah mich um: Hinter mir die flache Straße, vor mir dieser Pink und um mich herum die Kinder, die nur so darauf warteten, Autogramme zu bekommen. 

Ich hatte keine Lust, mit irgendwem jetzt eine Unterhaltung zu führen. Diese würde sich eh wieder nur um meinen Vater drehen. Stattdessen meinte ich: “Ich würde gerne in meinen Klassenraum gehen. Zeigen Sie mir den Weg?” Pink sah verdattert aus. Ein vielsagender Blick deutete mir, dass er diese Reaktion nicht erwartet hatte.

Beispielfoto (Quelle: www.pixabay.com)

“Und?”, fragte mein Vater, als ich den Salon betrat. Er hatte eine raue Stimme. “Wie war’s in deiner neuen Schule?”Ohne auf seine Frage zu antworten, schweifte mein Blick an den hohen, kahlen Wänden entlang. Bis auf einige Filmplakate (007 – Ganz viel Zeit zu sterben) oder Urkunden (Gratulation zum Aufstieg zur Börsengeschäftsführerin 1. Klasse) war nur ein endlos durchgezogener Weißton bis an die Decke vorhanden. Minimalismus, hatte der Architekt gesagt. 

Mein Vater sah mich immer noch an. Lange. “Gut!” Das war meine Antwort. Ich drehte mich um und ging auf mein Zimmer. Mein Smartphone lag auf dem Schreibtisch – 376 Nachrichten.

Desiderio rannte bellend auf mich zu. “Luke”, rief mein Vater von unten. “Heinrich fährt mich zu einem Termin. Deine Mutter ist noch in der Börse – Könnte länger dauern. Du bist für einen Abend allein hier.” Ich hörte noch, wie die Tür ins Schloss fiel und der Wagen sich von der Hofeinfahrt entfernte. 

Ich öffnete den Klassenchat. Ping. Ping. Ping. Die Nachrichten trudelten so schnell ein, dass ich kaum eine Chance hatte, hinterher zu kommen. Ein Bild nach dem anderen – in der Cafeteria, auf den Gängen, auf der Schultoilette, …

Desiderio schleckte mir die Tränen aus dem Gesicht.


Diese Kurzgeschichte entstand im Rahmen des Deutschunterrichts in Klasse 7.

Quelle Titelbild: pixabay.com