HEADLINE-Nachgefragt mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Grünen Omid Nouripour
Ein Interview von Lukas Harper, Klasse 8d
Omid Nouripour ist seit 2006 Teil der Grünen-Fraktion im deutschen Bundestag. Als Nachrücker ist er damals in das Parlament eingezogen. Gebürtig kommt der 49-jährige aus dem Iran, ist aber schon in jungen Jahren nach Deutschland geflohen. Um es genauer zu benennen, nach Frankfurt. Omid Nouripour ist übrigens Nachhaltigkeitsbeauftragter der Eintracht Frankfurt Fußball AG und berät deren Aufsichtsrat! Darüber konnte ich mit ihm nicht sprechen, trotzdem haben wir ein aufschlussreiches Gespräch über das grüne Abschneiden bei der Bundestagswahl, den politischen Richtungswandel junger Menschen und eine kommende Regierung führen können. Viel Spaß beim Lesen!
Im September des vergangenen Jahres ist der gesamte Bundesvorstand der Grünen geschlossen zurückgetreten. Ein Auslöser hierfür waren wohl die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Du hast damals gemeinsam mit Ricarda Lang verkündet, nur noch geschäftsführend im Amt zu bleiben und hast danach Dein Amt in Wiesbaden beim Bundespartei an Felix Banaszak und Franziska Brantner übergeben. Der Spitzen- & Kanzlerkandidat Deiner Partei Robert Habeck wirkte trotzdem nach der Wahl sehr enttäuscht von den Zahlen der Grünen. Da habe ich mich dann gefragt, ob es sich überhaupt „gelohnt“ hat, dass Du damals für einen Wandel der Grünen zurückgetreten bist, den es dann ja wohl gar nicht gegeben hat.
Wir sind zurückgetreten aus zwei Gründen. Erstens haben die Wahlergebnisse nicht mehr gestimmt. Das waren nicht nur die Wahlen im Osten, sondern auch bei der Europawahl, wo wir uns fast halbiert haben. Als Parteivorstand ist man nun mal zuständig und verantwortlich für die Ergebnisse. Für Kampagnen und Ergebnisse. Wenn man nicht mehr liefert, ist es ein Gebot von Anstand, dass man irgendwann sagt: „Ich habe nicht geliefert!“ Und der zweite Punkt ist: Der Trend war schlecht. Der Trend war sinkend. Wir waren in ersten Umfragen unter zehn Prozent. Alles, was wir an Analysen hatten, wie man da rauskommt aus dem Loch, wirkte immer wiederholender. Also war für uns klar, dass wir anderen Leuten die Möglichkeit geben müssen, dass die den Karren neu ziehen. Das haben die beiden gemacht. Dass am Ende das Ergebnis trotzdem super enttäuschend ist und wir jetzt auch noch in der Opposition landen, ist eben so, aber ob es besser geworden wäre, wenn wir im Amt geblieben wären, weiß ich nicht.
Aber warst Du damals trotzdem schon enttäuscht, dass du zurücktreten musstest?
Wir mussten nicht zurücktreten, wir haben das so entschieden. Wir haben beide ja den Job gewollt. Natürlich waren wir enttäuscht, dass wir den nicht zu Ende gemacht haben. Trotzdem haben wir eine Verantwortung für den Laden gehabt und wenn man das Gefühl hat, dass man diesem nicht mehr ausreichend helfen kann, sollte man es lassen.
Wir haben gerade über Zahlen gesprochen. Ich habe ein paar Zahlen mitgebracht. Bei der Europawahl 2019 hat Deine Partei 30% bei den Leuten zwischen 18 und 24 Jahren geholt. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es 23%, in diesem Jahr dann nur noch 12% der jungen Leute, die die Grünen gewählt haben. Wieso hat Deine Partei so viele Prozente an die Linke und die AfD verloren?
Wir haben ein vielseitiges Problem. Auf der einen Seite finden wir nicht mehr ausreichend Reichweite in den sozialen Medien, die ja die Hauptinformationsquelle gerade für jüngere Leute sind. Ein anderes Problem ist, wir reden hier über die Generation der Krisen. Ganz viele junge Leute haben diese Krisen satt. Die wollen Antworten. Und wir haben als Regierungspartei nicht ausreichend Antworten geliefert. Die Inflation zieht den Leuten die Schuhe aus. Der Döner kostet in Frankfurt 9,30€. Der Club-Eintritt liegt so bei 25€. Wenn man 20 ist und ausziehen will, wo soll man bitte im Rhein-Main-Gebiet eine bezahlbare Wohnung finden? Und dadurch, dass die größten Erwartungen an uns gebunden worden sind, ist dieses Nicht-Liefern der Ampel hauptsächlich an uns gebunden worden. Gerecht oder ungerecht, ist egal! Die Leute haben nicht das Gefühl, dass ihre Belange nach all diesen Krisen ausreichend abgebildet und bearbeitet wurden. Das ist ein echtes Problem. Und ein ernstes!
Glaubst Du, dass ihr in der Ampel genug getan habt?
Ich glaube, dass wir in der Ampel insgesamt viel getan haben, aber dass wir gerade für die jüngeren Leute zu wenig getan haben.
Inwiefern? Also, was hätte man da mehr tun können?
Wir hätten nicht nur die Inflation strukturell angehen dürfen, sondern auch gezielte Punkte setzen müssen. Und auch wirklich spürbar machen können, wo es billiger wird. Nicht nur im Allgemeinen. Wir hätten deutlich mehr adressieren müssen, dass es eine relativ große Bildungslücke während Corona gegeben hat. Dass die Leute massiv darunter leiden und wir hätten vor Allem durch weniger Streit ein bisschen mehr Halt geben müssen. Wenn die Leute in einem Krisen-Modus sind, dann wollen sie eine Regierung, die so aussieht, als würde sie souverän und ruhig durch diese Krisen führen. Wir haben ausgesehen wie in einer Kneipenschlägerei!
Dann ist die Regierung geplatzt. Im November war das. Das hat Neuwahlen hervorgerufen. In dem Wahlkampf, der also dann daraufhin folgte, hatte ich das Gefühl, dass es nur ein einziges Thema gab. Das war die Migration. Dabei sind die Grünen ja eine Partei, die eigentlich auf den Klimaschutz setzen möchte, gesetzt hat. Eben genau der ist meiner Meinung nach zu kurz gekommen. Aber auch so Themen wie Infrastruktur, Bildung, … Das kam alles viel zu wenig hoch. Wieso hast Du, warum habt ihr es nicht geschafft, diese Themen mehr in den Vordergrund zu rücken?
Ich habe in diesem Wahlkampf die Hälfte der Zeit über Klimaschutz geredet. Und Bildung. Das war ein sehr großes Thema bei uns. Aber es stimmt, das war nicht die gesellschaftliche Stimmung. Wir sind nicht durchgedrungen. Das hat etwas mit der Reichweite zu tun, das hat etwas damit zu tun, dass privatorganisierte Algorithmen jetzt diese Reichweite bestimmen. Das ist ein Problem. Nicht ein Problem der Grünen, sondern der gesamten Demokratie. Wir haben versucht, die Themen mit allem was wir hatten zu setzen, aber wir sind nicht durchgekommen. Das hatte nicht nur mit Algorithmen zu tun, sondern auch damit, dass wir als Ampel-Partei bei den Leuten nicht mehr wirklich auf offene Ohren gestoßen sind. Die Leute waren nach dem Geschrei der Ampel-Jahre ein bisschen müde.
Wenn Du jetzt auf die kommenden vier Jahre GroKo schaust, warum können wir mit ein bisschen mehr Zuversicht, damit hat Deine Partei plakatiert, in die Zukunft schauen, obwohl die Grünen nicht mehr Teil der Regierung sind?
Ich hoffe, dass die kommende Regierung Erfolg hat. Das ist vielleicht nicht gut für die Opposition, der wir sehr wahrscheinlich angehören werden. Aber es ist notwendig für das Land, dass wir eine Regierung haben, die die Probleme angeht. Wir haben auch viele Probleme angehen können. Aber gleichzeitig haben wir dabei zu zerstritten gewirkt. Ich hoffe sehr für das Land, dass die nächste Regierung mit weniger Lautstärke, sondern mit mehr Lösungsansätzen da tatsächlich auch glänzen kann. Wenn wir da in der Opposition helfen können, dann tun wir das! Es geht nicht um uns. Es geht auch nicht um die Schwarzen oder Roten, es geht ums Land. Wir sind in sehr, sehr ernsten Zeiten, da gibt es für Spielchen nicht viel Platz.
Was wünschst Du Dir von der Regierung?
Dass sie nicht die Hände in den Schoß legen, sondern die Probleme anpacken. Die letzten GroKos haben eher damit geglänzt, dass sie nicht so viel gemacht haben. Das hat zu einem enormen Modernisierungsstau geführt, in dem dieses Land gerade steckt.
Vielen lieben Dank, dass Du dir die Zeit für HEADLINE genommen hast!
Gerne immer wieder.
Omid Nouripour und Lukas Harper haben sich vor Beginn des Interviews auf das „Du“ geeinigt. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die politische Neutralität unseres Redakteurs gehabt, wie aus den Fragen zu entnehmen war.
Das Interview wurde am Mittwoch, den 05. März 2025, in Hattersheim am Main geführt.
Die Fotos sind am Tag des Interviews entstanden. Alle Rechte an eben diesen liegen bei HEADLINE, bzw. Lukas Harper und Lena Koop (Büro Nouripour).