HEADLINE-Nachgefragt mit Anna Lührmann (MdB)
Ein Interview von Lukas Harper, Klasse 8d
Die Bundestagswahl ist vorbei. Dr. Anna Lührmann war die Spitzenkandidatin der hessischen Grünen und Direktkandidatin im Main-Taunus-Kreis. Letzteres Mandat konnte sie nicht gewinnen, ist jedoch trotzdem über die Landesliste in den Bundestag eingezogen, welchem sie auch schon in der vorherigen Wahlperiode angehört hatte. Anfang der 2000er war Anna Lührmann die jüngste Abgeordnete des Bundestags jemals und hält diesen „Titel“ bis heute.
Über junge Menschen, ihre Aufgaben als Staatsministerin für Europa und die Ampel habe ich mit ihr gesprochen. Viel Spaß beim Lesen!
Du bist mit 19 Jahren im Jahr 2002 als jüngste Abgeordnete jemals in den deutschen Bundestag eingezogen, damals frisch aus der Schule. Denkst Du, der Bundestag sollte häufiger Menschen haben, die diesen erheblich jünger machen?
Ja, auf jeden Fall. Der Bundestag sollte den Querschnitt der Gesellschaft widerspiegeln. Das heißt dementsprechend junge Menschen, ältere Menschen, Menschen mit Studium, aber auch solche, die vielleicht Handwerkerinnen und Handwerker sind. Leute mit Behinderung, mit Migrationshintergrund, ohne Migrationshintergrund, queer, nicht queer – Ich glaube, es ist einfach wichtig, dass es diesen Querschnitt der Bevölkerung gibt. Der Bundestag ist insgesamt ein bisschen jünger geworden als zu dem Zeitpunkt, wo ich damals (2002) kandidiert habe. Leider ist durch die AfD jetzt der Frauenanteil gesunken. Das finde ich absolut rückschrittlich (Anm. d. Red.: Diese Aussage stimmt zu Teilen. Tatsächlich hat die Fraktion der AfD die niedrigste Frauenquote kommenden deutschen Bundestag. Sie liegt nur bei 11,8%. Gerade einmal knapp die Doppelte prozentual gesehene Anzahl an Frauen finden sich in den Reihen der Union wieder. Die SPD beschäftigt etwas über 40% Frauen. Linke und Grüne liegen über 50%. Der Grund für eine niedrige Frauenquote liegt demnach zu großen Teilen bei der AfD, jedoch auch die CDU ist mit deutlich mehr Männern vertreten.).
Häufig schwingen Vorurteile gegenüber jungen Menschen in der Politik mit: Sie sollten erstmal arbeiten gehen, Geld verdienen, eine eigene Ausbildung machen, etc., um etwas von dem zu verstehen, was sie tun. Was sagst Du dazu?
Naja, welchen Job soll man denn haben, um in der Politik etwas zu verstehen? Der Punkt ist ja, dass wir in der Politik verschiedene Realitäten der Menschen widerspiegeln. Von Leuten, die in der Pflege gearbeitet haben, die im Kindergarten waren, von Soldatinnen und Soldaten – Es muss ja nicht jeder zur Bundeswehr gegangen sein, um zu entscheiden, wie wir unsere Armee ausstatten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese verschiedenen Perspektiven haben und gemeinsam können wir dann gute Entscheidungen treffen.
Du hast bis 2021 eine Pause von der Politik gemacht. Möchtest Du erzählen, warum?
Ja, gerne. Als ich gewählt worden bin, habe ich von Anfang an gesagt, ich mache das höchstens zwei Legislaturperioden, weil ich nichts davon halte, so abhängig zu sein von der Politik. Deswegen habe ich nach zwei Amtszeiten gesagt, dass ich nicht noch einmal kandidieren werde. Ich bin dann erstmal in den Sudan gegangen, dann an die Uni nach Schweden und habe da wirklich auch viele spannende Dinge getan. Irgendwann hatte es mich dann wieder gepackt und ich wollte wieder selbst etwas mitentscheiden.
Jetzt haben wir schon ausführlich über die Wege und Entscheidungen junger Leute gesprochen. Deswegen würde ich gerne zu einem nächsten Punkt überleiten. In manchen Landesparlamenten geht es, in Hessen noch nicht – Ich rede vom Wählen ab 16. Denkst Du, es ist eine gute Idee, das Ganze auch auf Bundesebene…?
Auf jeden Fall! Das ist so etwas, für das ich schon streite, seit ich mit 14 angefangen habe, bei der grünen Jugend aktiv zu sein. Daran sieht man auch, wie lange es manchmal braucht, Veränderungen durchzusetzen. Letztes Jahr konnten wir im Bundestag zum ersten Mal durchsetzen, dass auch bei der Europawahl ab 16 gewählt werden kann. Ich hoffe, dass wir das irgendwann auch für Deutschland erreichen, weil wir einfach auch die Perspektive junger Menschen brauchen. Deutschland wird immer älter. (Anm. d. Red.: Man spricht hierbei vom sogenannten demographischen Wandel. Insbesondere im Hinblick auf die Altersstruktur, die Entwicklung der Geburtenzahl, der Sterbefälle, die Anteile von Inländern, Ausländern, Eingebürgerten sowie die Zuzüge und Fortzüge. Es leben also von Jahr zu Jahr immer mehr ältere Menschen in Deutschland.) Dadurch haben zum Beispiel Leute über 60 viel mehr zu sagen, obwohl sie ja meistens viel kürzer mit den Folgen Leben müssen. Deshalb ist genau die Antwort auf den demographischen Wandel, dass auch Menschen unter 18 Jahren wählen dürfen.
Als du dann 2021 wiedergewählt wurdest, bist du zur Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt ernannt worden. Was machst du da genau?
Damit bin ich die Stellvertreterin von Annalena Baerbock und kümmere mich vor allem um die Themen, die mit Europa und Klima zu tun haben. Solche, bei denen sie gerade keine Zeit findet, zu Terminen zu gehen. Ich vertrete Deutschland auch beim Allgemeinen Rat in Brüssel. In der Entscheidungsfindung mit der Europäischen Kommission bin ich dann die Stimme Deutschlands.
Spürt diese Stimme Deutschlands in der EU eine wackelnde europäische Ordnung? Ist diese in Gefahr?
Auf jeden Fall! Was wir jetzt gesehen haben, erstmal mit Putins brutalen Überfall auf die Ukraine, jetzt aber auch dadurch, dass Trump Zweifel daran lässt, wie stark die Amerikaner für einen Frieden in Freiheit in Europa einstehen, zeigt ganz klar, dass wir auch mehr für unsere eigene Sicherheit tun müssen. Dass wir mehr investieren müssen, aber auch handlungsfähiger sein müssen. So wie es jetzt ist, ist es auf jeden Fall nicht mehr zeitgemäß.
Jetzt hast du den Ukraine-Krieg oder besser Putins Angriffskrieg auf die Ukraine angesprochen. Das war eine der Krisen, bzw. Notlagen, die ab 2021 auf die Ampel-Regierung niedergeprasselt sind. Denkst Du, das hat eine „Teilschuld“ daran, dass es so häufig zu Streitigkeiten kam?
Klar, die Ampel hat in einer sehr von Krisen geprägten Zeit regiert. Viele Probleme konnten wir beim Vereinbaren des Koalitionsvertrags damals gar nicht vorhersehen. Das hat es sicherlich noch mal schwieriger gemacht. Aber gerade in diesen Krisen, haben wir als demokratische Parteien die Verantwortung, zusammenzustehen und zusammenzuarbeiten.
Bist Du in dem Sinne auch traurig, weil es zu einer Regierungsbeteiligung sehr wahrscheinlich nicht mehr reichen wird?
Na klar. Wir Grünen wollten weiter regieren. Deswegen sind wir bei der Wahl angetreten. Das ist genau der Punkt, um den es in der Politik geht. Dass wir Sachen gestalten wollen, dass wir denken, dass unsere Ideen besser sind als die von anderen Parteien…
…Kanzler Era…
Genau. Wir hätten auch gerne mit Robert (Habeck) den Kanzler gestellt. Die Wählerinnen und Wähler haben sich aber anders entschieden. Das respektieren wir natürlich. Jetzt haben wir eine wichtige Aufgabe als vernünftige Stimme in der Opposition.
Wir haben vorhin schon darüber gesprochen, dass Du mit 19 in den Bundestag gewählt wurdest. Kurz davor warst Du noch in der Schule. Jetzt blicke bitte mal auf Deine Schulzeit zurück…
Ja, (lacht) ok…?
Ich sehe schon, Du lachst. Wie hast Du die so in Erinnerung?
Ich habe mich sehr viel gelangweilt. Deswegen habe ich auch angefangen mich politisch zu engagieren, weil ich daran etwas ändern wollte.
Weil Du so gut warst, hast Du dich gelangweilt? Oder weil du kein Interesse am Stoff hattest?
Ich würde sagen, ich fand das oft nicht zeitgemäß. Wir haben in Englisch, statt die Sprache wirklich anzuwenden, für Situationen, die in der Realität auch vorkommen, irgendwelche historischen Stücke analysiert.
Denkst Du, das hat sich heute verbessert?
Ich glaube, einiges hat sich ein bisschen verbessert. Auch wenn ich zu meiner Tochter in die Schule schaue. Aber ich denke, wir haben immer noch zu große Klassen, wir integrieren Digitalisierung nicht genug in den Unterricht – Da geht es nicht nur darum, ein paar IPads zur Verfügung zu stellen, sondern wirklich auch dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler zum Beispiel lernen, wie man Fake-News von Qualitätsnachrichten unterscheidet. – Da kann man vieles noch besser machen!
Welche Maßnahmen wären aus Deiner Sicht notwendig, um digitale Kompetenzen nachhaltig zu fördern?
Ich würde mir vorstellen, dass wir als erste Maßnahme an allen Schulen einen Projekttag zum Thema „Nachrichtenkompetenz“ machen. Dass eben alle Schülerinnen und Schüler sehen, was da gerade los ist und wie man an zuverlässige Nachrichten drankommt. Das wäre schonmal ein erster Punkt. Generell muss dieses Thema aber vielmehr in den Unterricht integriert werden. Wir brauchen mehr eigenverantwortliche Projektarbeiten, die mich als Schülerin damals auch mehr motiviert hätten.
Ich habe im Wahlkampf ein bisschen aus den Augen verloren, was die einzelnen Parteien fordern. Nur dadurch, dass ich die Parteiprogramme gelesen habe, habe ich wirklich die Ansichten der großen Parteien mitbekommen. Ich glaube ein ausschlaggebender Punkt dafür war, dass das große alles verschluckende Thema die „Migration“ war. Ich glaube, das haben Sie auch selbst mitbekommen. Es gab im hr (Hessischer Rundfunk) die Runde der hessischen Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten. Mir kam es bei eben dieser so vor, als würde dieses Thema wirklich alles andere verdrängen. Dabei haben wir ja trotzdem viel viel mehr wichtige Themen. Zum einen Klimaschutz, ich denke da noch an Infrastruktur oder Bildung, obwohl letzteres ja eigentlich eher Ländersache ist. Wieso haben Sie es nicht geschafft, die anderen Themen in den Vordergrund zu rücken?
Wenn ich die Antwort auf diese Frage hätte, hätte ich das ja die letzten Monate ändern können. Aber ich denke, es ist sowieso so, dass Themen, die nach einer akuten Notlage aussehen, in den Medien nach oben gespült werden. (Anm. d. Red.: Tatsächlich ist der Redaktion aufgefallen, dass viele Politikerinnen und Politiker versucht haben, besonders im Haustürwahlkampf andere Themen anzusprechen. Letzten Endes müssen Politikerinnen und Politiker aber die Fragen beantworten, die ihnen von den Journalistinnen und Journalisten gestellt werden. Eine Schuld trifft daher auch uns als Presseleute.) Es ist trotzdem wichtig, dass wir uns grundsätzlich damit beschäftigen, was wirklich unsere innere Sicherheit bedroht, nämlich der Klimakrise. Wenn es hier zwei, drei Grad wärmer wird, dann haben wir ein richtiges Problem, zum Beispiel beim Anbau von Nahrungsmitteln oder mit Flutkatastrophen. Ich würde mir wünschen, dass wir in der Politik nicht nur über die Themen der letzten Top-Schlagzeilen reden, sondern auch über solche, die für die Menschen in unserem Land eine wirklich tiefe Bedeutung haben.
Hat Die Linke das besser gemacht? Also ich meine jetzt, dass sie die Themen wie bezahlbares Wohnen angesprochen hat, sodass dann auch viele junge Menschen, die sonst die Grünen gewählt haben, jetzt zu den Linken gewechselt sind. Das ist ja genau die Altersgruppe, die vielleicht gerade auf einer Wohnungssuche ist.
Die Linke hat auf jeden Fall einen enormen Zulauf gehabt. Wir als Grüne haben in beide Richtungen gleich viel verloren. Das analysieren wir auch gerade intern, woran es gelegen hat. Aber sicherlich, muss uns das besser gelingen. „Das Leben muss bezahlbar sein!“ war so eines unserer Schwerpunktthemen. Wir müssen besser hinbekommen, dass das auch bei den Leuten ankommt. (Anm. d. Red.: Wenn man das Zitat von Anna Lührmann: „Das Leben muss bezahlbar sein!“ googelt, tauchen tatsächlich sehr viele Videos vor allem von Robert Habeck auf. Dazwischen tummeln sich jedoch auch einige Posts der Linken. Eine genaue Unterscheidung, inwiefern die Linke hierbei besser aufgetreten öffentlich ist, können wir also nicht machen)
Dann gehen wir aus diesem Interview mit einer für Dich positiven Frage: Trotz all dem Frust, der sich über die Ampel-Jahre aufgestaut hat und trotz dessen, dass es einem so vorkommt, als würde immer noch nichts gegen die Klimakrise getan werden – Wieso sollten junge Menschen trotzdem die Grünen wählen?
Wegen genau dem eigentlich. Weil wir dem etwas entgegensetzen müssen. Wir müssen klar machen, dass wir hier in einer Demokratie leben wollen, in der nicht das Recht des Stärkeren herrscht und wo auch niemand wie Trump oder die AfD über dem Gesetz steht. Wir müssen investieren in unser Land, auch dahingehend, dass wir die Klimakrise in den Griff bekommen. Es gibt sehr viele Gründe dafür. Außerdem sind wir auch eine sehr nette Truppe (grinst).
Vielen lieben Dank für Deine Zeit und bis bald!
Anna Lührmann und Lukas Harper haben sich vor Beginn des Interviews auf das „Du“ geeinigt. dies hat jedoch keinen Einfluss auf die politische Neutralität unseres Redakteurs gehabt, wie aus den Fragen zu entnehmen war.
Das Interview wurde am Mittwoch, den 05. März 2025 in Hattersheim am Main aufgezeichnet.
Die Fotos sind am Tag des Interviews entstanden. Alle Rechte an eben diesen liegen bei HEADLINE, bzw. Lukas Harper.