“Nächstes Jahr sind wir auf jeden Fall im Bundestag!”

Nachgefragt beim Europa-Abgeordneten Damian Boeselager von VOLT

Ein Interview von Lukas Harper, Klasse 8d

Damian Boeselager ist seit 2019 Abgeordneter im europäischen Parlament. Bis zu seinem 16. Lebensjahr hat er in Frankfurt gewohnt. Boeselager ist Mitglied der Fraktion der Grünen. Angetreten ist der jetzt 36jährige aber damals für die paneuropäische Partei VOLT, dessen Mitgründer er auch ist. HEADLINE hatte ihn im Gespräch und hat einmal ordentlich nachgefragt…

Wir befinden uns Anfang März 2017. Der Brexit wurde eingereicht und Sie haben gemeinsam mit zwei Menschen aus Italien und Frankreich genau zu dieser Zeit VOLT gegründet. Warum? Was hat Sie gestört?

Das Problem war ja, dass damals Trump gewählt wurde und auch der Brexit passiert war, zumindest das Brexit-Referendum. Und dann haben wir uns überlegt: ‘Krass, dass jetzt diese Rechtspopulisten immer stärker werden ” Und dann haben wir gesagt, dass wir keinen Bock drauf haben. Das war in Europa auch schon der Fall: Marie Le Pen war da grad im Wahlkampf gegen Macron und in Italien gab es eine linkspopulistische Partei und eine rechtspopulistische Partei. Und in Deutschland hat sich ja die AfD größer einwickelt und ist dann da auch ein halbes Jahr später in den Bundestag gewählt worden mit 88 Leuten. Und dann haben wir uns überlegt, wir bauen einfach genau das Gegenteil dazu, eine europäische Partei.

Warum sind Sie nicht einfach in eine andere Partei eingetreten, zum Beispiel in die der Grünen, dessen Fraktionsmitglied Sie ja auch im Europaparlament sind?

Die Grünen sind keine europäische Partei. Das sind da sozusagen nationale Parteien, die sich da irgendwie zusammenschließen und unsere Idee war, sich da von Anfang an zusammenzuschließen. Also wir wollten gerne eine europäische Partei sein. Und weil es da keine gab, dachten wir: “Geil, dann bauen wir halt selbst eine!”

Was macht denn Volt anders, als die etablierten Parteien?

Wir haben ein europäisches Grundatzprogramm. Wir haben den selben Namen in allen Ländern. Wir definieren uns in erster Linie europäisch. Das macht uns dann eben auch anders. Da gibt’s dann auch noch andere Arten zu arbeiten. Also unsere ganzen Mitglieder sind auf einer Digitalplattform über den Kontinent hinweg miteinander vernetzt.

Der Politikwissenschaftler Johannes Hilje hat einmal in einem Interview mit “ZDF heute” gesagt, Volt sei auf Social Media konkurrenzfähig zur AfD. Inwiefern spielen denn Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok eine Rolle im Wahlkampf?

Die spielen eine riesige Rolle. Also wir haben schon einen Wahlkampf gemacht, der auf jeden Fall auf die Sozialen Medien ausgerichtet war. Auf YouTube könnten wir noch besser werden, das hat noch nicht so ganz geklappt. Instagram war auf jeden Fall meine Fokus-Plattform. Und TikTok haben wir jetzt in diesem Wahlkampf auch schon Mal was hochgeladen. Das Problem bei TikTok ist, da wurde ich geshaddowbanned…

Erklären Sie das bitte einmal für unsere Leserinnen und Leser.

Also, eigentlich wurden ganz viele Accounts, die sozusagen politisch klassifiziert wurden, da in irgendeiner Weise im Algorithmus benachteiligt. Also ich würde sagen, vor einem Jahr, als ich ein Video gepostet habe, dann hatte ich auch eine Chance, über 7000 Views zu haben oder auch Mal noch mehr und jetzt ist es so, dass es so bei 600 bis 700 Views liegt. Manchmal komme ich auch auf die 6000 Views, aber … Ich bin jetzt nicht so wahnsinnig unlustiger oder dümmer geworden in meinen Videos, aber das ist eindeutig eine Benachteiligung im Algorithmus, die da stattfindet. Ich glaube, die haben das versucht, weil sie den politischen Kontent reduzieren wollten, aber es hat vor allem die klassischen Politikerinnen und Politiker getroffen und die AfD postet sowieso über TikTok über ganz viele unterschiedliche Kanäle Kontent, der nicht unbedingt Politikern zugeordnet werden kann.

“Sei kein Arschloch. Wählen rettet Leben. Für mehr Eis. Schluss mit Faxen.” Lila Plakate mit fetter weißer Schrift. Das sticht auf jeden Fall ins Auge. Was sollen diese Plakate erreichen?

Erst einmal muss ich sagen, wenn sie ins Auge stechen, ist das ja positiv. Da haben wir versucht, auf eine junge Art und Weise unsere Kernbotschaften zu verpacken. Also „Sei kein Arschloch“ ist eben genau die Aufforderung, nicht Rechtspopulismus zu unterstützen. Da steht auch drunter ‘Deine Stimme gegen Rechtspopulismus”, also so eine kleine Erklärung. Und ‘Schluss mit Faxen ” ist halt eine Frage der Digitalisierung der Verwaltung. Bei ‘Für mehr Eis” geht’s darum, die Eisschmelze aufzuhalten und so weiter.

Damian Boeselager (Quelle: Volt Pressefotos www.voltdeutschland.org)
Brüssel und Straßbourg sind schon ein Stückchen weg von uns. Wie können Sie das Europaparlament denn näher und greifbarer für uns machen?

Genau, ich versuche es, wie du es ja auch angesprochen hast, über die Sozialen Medien so ein bisschen zu erklären, was hier passiert. Was mir natürlich am wichtigsten ist, war das mit der Parteigründung von VOLT, Leute anzusprechen, die jetzt nicht klassisch politisch aktiv sind, sondern einfach ganz normale Menschen sind und da auch ein witziges Angebot zu kreieren. Ich würde sagen so ein bisschen über meine eigene Kommunikation, aber natürlich auch über VOLT als Ganzes.

Was genau kann man denn im Europaparlamt verändern, wenn man Abgeordneter oder Abgeordnete ist?

Krass viel. Als erste Zahl ist ganz wichtig zu verstehen, dass 50 bis 70 Prozent der Gesetze, die im Bundestag verabschiedet werden, sind eigentlich EU-Umsetzungsgesetzgebungen. Das heißt, die EU ist halt schon krass wichtig. Und wie der Gesetzgebungsprozess hier funktioniert, ist, dass die Europäische Kommision Gesetze vorstellt und die gehen dann ins Europaparlament und parallel zu den 27 zuständigen Ministern. Wenn du zum Beispiel Migrationsgesetze behandelst, dann gehen die ins Europaparlament zum Innenausschuss und auf der anderen Seite zu den 27 Innenministern. Hier im Parlament, wenn das Gesetz sozusagen dann im Innenausschuss ankommt, dann ernennt jede Fraktion einen Verhandler und wenn ich dann zum Beispiel einer dieser Verhandler werde, dann kann ich 1 zu 1 am Gesetz mitschreiben und da dann Änderungen einbringen. Da kannst du dann wirklich Änderungen reinschreiben und dann versuchen, die Anderen davon zu überzeugen, erst im Parlament und dann die 27 Minister auf der anderen Seite. Und wenn du das hinkriegst, kannst du halt auch das System mit Schwachsinn verändern. Bei jedem Gesetz, was ich verhandelt habe, kann ich so mit einem Maker anstreichen, was ich da reingebracht habe. […] Hier kann man viel machen und es ist, glaube ich, auch viel spannender als der Bundestag. Und der Bundestag ist trotzdem viel mehr in der Presse und die ganzen deutschen Abgeordneten, obwohl ich glaube, dass wir wirklich viel mehr machen können. […]

Können Sie auch selbst Gesetze vorschlagen?

Leider können wir keine Gesetze selber vorschlagen. Wir müssen warten, bis die europäische Kommission, also unsere Regierung auf europäischer Ebene, ein Gesetz vorschlägt. Dann können wir da dann Gesetze verändern. Aber leider können wir keine Gesetze vorschlagen. Wir können natürlich versuchen, die so ein bisschen zu beeinflussen, dass sie irgendwelche Gesetze vorschlagen, aber das Recht haben wir nicht. Das ist auch etwas, was VOLT fordert – Dass wir als Parlament eben auch das Recht haben sollten, Gesetze vorzuschlagen. Das heißt auch, Gesetze zu verändern, die vielleicht schon existieren oder auch Gesetze zurückzunehmen. Das ist das sogenannte Initiativrecht des Parlaments und es wäre cool, wenn wir das hätten. Das ist etwas, was wir dringend brauchen, weil ich glaube, es wäre auch geil für die Bürgerinnen und Bürger, wenn du bei einer Wahl sagst, ich möchte zum Beispiel gerne mehr Regulierungen und Gesetze abbauen, dann solltest du das als Partei auch versprechen können, das zu machen, wenn du das machen möchtes. Und dann solltest du auch die Macht haben, nach der Wahl zwei Dinge zu tun. Das eine ist, die Regierung zu stellen und das zweite ist halt, Gesetze zu verändern oder vor zusagen. Weil dann würde sich der Bürger *innenwille direkt aufs Parlament übertragen und vom Parlament auch berücksichtigt werden.

Sie sind ja zur Zeit “nur” im Europaparlament und in einigen Stadtparlamenten vertreten, aber wären Sie trotzdem bereit für den deutschen Bundestag? –

Nächstes Jahr sind wir auf jeden Fall im Bundestag!

Da sind Sie sich jetzt schon so sicher?

Also, man muss es zumindest versuchen, oder? Was glaubst du denn? Schaffen wir es in den Bundestag?Wenn ich mir vor allem unter jüngeren Leuten anschaue, was da gewählt wurde –

Bei uns an der Schule hatten Sie bei der Juniorwahl knapp 13 Prozent und waren zweitstärkste Kraft…

Also hatten wir 13 Prozent an eurer Schule – Das ist doch mega gut! Wenn wir nur bei euch wählen würden, wären wir auf jeden Fall im Bundestag.

Ich glaube, bei uns im Main-Taunus-Kreis waren Sie auch relativ stark dabei mit 3,3 Prozent, aber das reicht ja noch nicht für die 5-Prozent-Hürde im Bundestag.

Genau, da müssten wir jetzt noch ein bisschen Wahlkampf machen. (lacht) Ich meine, jede Wahl ist natürlich für uns eine Chance, zu erklären, warum wir cool sind und was wir so an Veränderungsideen haben. Es wird auf jeden Fall eine Herausforderung werden, aber zum Beispiel gestern (Anm. d. Red.: Das Interview mit Herrn Boeselager wurde am Mittwoch, dem 18. September 2024 geführt.) wurde Herr Merz aufgestellt für die Konservativen. Den finden jetzt auch nicht alle toll. Dann hast du danach irgendwie die SPD mit Scholz als Kanzlerkanditaten. Er ist, glaube ich, der unbeliebteste Kanzler jemals. Dann hast du danach die Grünen, die mehr oder weniger ihr Ergebnis halten, wenn sie es schaffen, Habeck irgendwie ein bisschen zu befreien. Weil er ist schon stark und erreicht auch viele Menschen. Dann kommen die vielleicht mit Glück wieder auf 15 Prozent oder so. Die FDP ist ja total inhaltsleer geworden. Das heißt, die haben echt Sorge, dass sie aus dem Bundestag fliegen, vor allem, wenn sie nochmal mit Lindner antreten. AfD und BSW sind drinnen. Das ist so meine Einschätzung. Aber eine positive Stimme, die irgendwie versucht, gute Sachpolitik zu machen … Da kann ich mir schon vorstellen, dass das viele in einem Jahr begeistern kann.

In Ihrem Grundsatzprogramm beschreibt Ihre Partei, VOLT unterstütze ein umfassendes Einwanderungsgesetz, um Menschen ohne Fluchthintergrund eine menschenwürdige Einwanderung in die EU zu ermöglichen. Außerdem, Zitat: “Mit einer kohärenten europäischen Strategie soll die legale Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland in die Europäische Union vereinfacht werden.” Das sind ziemlich viele Fachbegriffe hinter denen ziemlich viele Forderungen stecken. Was meinen Sie damit genau?

Also, was mir wichtig ist, – Und das merkt man jetzt auch in dieser ganzen Solingen-Debatte – dass wir erstmal drei Dinge voneinander unterscheiden: Das erste Thema ist Asyl, das zweite Thema ist Arbeitsmigration und das dritte Thema ist Integration. Und die werden eigentlich die ganze Zeit in einen Topf geworfen, mit der sogenannten Migrationsdebatte. Das ist aber Bullshit. Was ist Asyl? Also, Asyl ist so die Idee, dass jeder das Recht hat, Asyl zu beantragen. Das heißt nicht, dass jeder das Recht hat, Asyl zu bekommen. Aber grundsätzlich, wenn du irgendwie auf europäischem Boden bist, dann kannst du Asyl beantragen. Dadurch, dass wir keinen Grenzen innerhalb der EU wollen, ist es so, dass wir sagen, wir brauchen ein europäisches Asylsystem. Wir wollen eine Verteilung auf die unterschiedlichen Länder. Da sind wir jetzt gerade noch relativ weit von entfernt, aber das ist das, was wir eigentlich wollen. Im Moment ist ja die Regel einfach, dass sozusagen Erst-Einreise-Länder, sagen wir mal Griechenland, Italien oder auch Bulgarien, alleine zuständig sind für die Asyl-Anträge. Das Zweite ist Arbeitsmigration. Das ist eine ganz andere Frage. Wie können wir Leuten, die hier ein Jobangebot haben, das attraktiv machen, hierher zu kommen? Das Ding ist halt, dass selbst unter Trump die USA attraktiver waren als Einwanderungsland, als die EU. Australien sogar auch. Und wir haben gleichzeitig halt auch eine alternde Gesellschaft (Anm. d. Red.: Häufig auch als demografischer Wandel bezeichnet), also wir brauchen dringend Arbeitsmigration. Deswegen wollen wir das europäisch vereinfachen. Und das dritte Thema, um es kurz angesprochen zu haben, ist die ganze Frage, wie kann man Integration besser organisieren. Da kommst du eigentlich zu so Fragen: Ab wann sollten Leute arbeiten dürfen, wenn sie hier sind? Wie bringt man Leute unter? Und wie können wir Sprachkurse besser organisieren? Das ist so eine Debatte, die ich eigentlich super wichtig finde, die aber in Deutschland aktuell gar nicht geführt wird.

Volt Pressefoto (www.voltdeutschland.org)
Nächstes wichtiges Thema: Klimapolitik. In Ihrem Parteiprogramm fordern Sie eine “gesamteuropäische Klimastrategie”. Was heißt das für Sie und wie möchten Sie das erreichen? (Auszug aus dem Grundsatzprogramm, Seite 35: “Die aktuelle deutsche Politik verfolgt eine Klimastrategie des Abwartens und ist höchst unzureichend eingestellt auf die drohende Klimakatastrophe. L…] Volt befürwortet progressive und ambitionierte Politik auf der europäischen, nationalen und lokalen Ebene.”)

Es ist so, dass das Thema viele Elemente hat. Das erste ist, dass wir tatsächlich ein bisschen anspruchsvoller sagen, wir müssen Klimaneutralität schneller erreichen. Das zweite ist, dass wir sagen, wir müssen uns die Energiepolitik anschauen und einen gemeinsamen europäischen Energiemarkt und eine gemeinsame Dekarbonisierung (Anm. d Red.: Man definiert die Dekarbonisierung als Verminderung kohlenstoffhaltiger Emissionen, besonders durch die Abkehr von fossilen Energieträgern.) über die Energie hinweg…

Durch erneuerbare Energien?

Genau. Aber du müsstest vor allem diesen Ausbau der erneuerbaren Energien halt europaweit koordinieren und ganz oft ist es so, dass wir eigentlich davon profitieren könnten, über die Grenzen uns besser zu verbinden. Also, dass man eben sagt, in manchen Ländern ist es eben besser und die Produktion in anderen Ländern ist halt besser, sodass man halt nicht nur sagt, wie können wir ein deutsches Energienetz aufbauen, das dekarbonisiert ist, sondern das europaweit hinkriegen. Und da gibt’s noch super viele Potentiale, die man haben könnte, wenn man das ordentlich organisieren würde.

Das nächste Thema kommt aus der Schulgemeinde. Diese Person hat interessiert, was man in diesem Bereich auf europäischer Ebene ändern könnte. Der ÖPNV ist auch sicher ein Weg Richtung Klimawandel ins Positive. Wie steht’s denn mit einem Europaticket?

Das fänden wir eine supergeile Idee. Dass es sozusagen erstmal die Möglichkeit gibt, Züge europaweit zu nehmen. Das wäre richtig richtig cool, das einzuführen. Da muss man sich dann halt die Finanzierung anschauen. Und die zweite Frage ist dann, wie es denn mit der Infrastruktur aussieht. Wir haben hier bei uns von VOLT einen Abgeordneten, der im Verkehrsausschuss sitzt und da maßgeblich daran beteiligt ist, dass das mit dem Schienennetz auf europäischer Ebene halt funktioniert. […] Dafür muss es halt eine viel viel bessere Schienenverbindung zwischen allen Ländern geben und ich glaube, da kann man auch noch krass viel mehr tun. Dann insbesondere in Deutschland sind wir extrem schlecht darin, Schienenprojekte sinnvoll zu planen. Und dann geht es darum, das noch mehr in den europäischen Fokus zu rücken und dann vor allem den europäischen Güter- und Personenverkehr so zu organisieren, dass das einfach schneller, geiler und besser wird.

Sie haben schon häufiger über einen europäischen Rundfunk gesprochen. Wie soll der aussehen? Mehr Sendungen wie den ESC?

Es gibt verschiedene Sachen, die da ein Problem sind. Das erste, ich habe das auch schon vorhin ganz am Anfang angesprochen, ist, dass viel zu wenig über die europäische Union wirklich so tagtäglich berichtet wird, was hier so abgeht. Und es wäre halt geil, wenn man tatsächlich noch mehr erklären würde, was hier passiert. Was passiert in der EU eigentlich? Was will sie an Gesetzen machen? Kann man das auch mit Persönlichkeiten spannender machen, sodass die Leute auch Bock haben, sich das anzuhören? Also schon irgendwie das, was in Deutschland über die deutsche Politik passiert, aber halt auf europäischer Ebene. Das wäre schon eine wichtige Frage. Und dann haben wirja oft Inhalt, die man nur in seinem Land hören kann. Was weiß ich: ZDF, ARD,… Das kann man halt nur aus Deutschland raus sich anschauen und es wäre halt geil, dass eben auch europäische Inhalte verfügbar sind, über die Grenzen hinweg. Das wäre schon das Ziel.

Auf welcher Sprache würde der dann sein?

Man muss auf jeden Fall alle Sprachen anbieten. Wir haben ja auch unterschiedliche Sprachen in Europa.

Wir sind hier in einer Schule, die meiner Meinung nach relativ fortschrittlich ist, was die Digitalisierung angeht. Bis auf das Internet… (beide lachen) Die Pisa-Studie zeigt, nicht nur in Deutschland, sondern Schulen in vielen Teilen Europas hängen hinterher – Mit Ausnahme von Skandinavien. Was können Sie, was wollen sie für ein besseres Schulsystem unternehmen?

Also, im Moment ist es so, dass die europäische Union gar keine Entscheidungsmacht hat, sondern, dass die Länder zuständig sind für Bildungspolitik. (Anm. d. Red.: Der Bildungsföderalismus in Deutschland wurde nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt, um großflächige Propaganda seitens der Regierung zu verhindern.) Auf europäischer Ebene kann man jetzt nicht so krass viel tun. Was würde VOLT auf Länderebene versuchen? Da müssten wir jetzt beim Schreiben des Bundestagsprogrammes überlegen, wie im Detail man Bildung verbessern könnte.

VOLT fordert, dass vieles staatlich gefördert und gezahlt werden sollte. Unter anderem steht in Ihrem Grundsatzprogramm die Unterstützung für die Eltern sogenannter Sternenkinder. Heißt das, wir brauchen mehr Steuern?

Das ist ein Punkt, den ich vielleicht vorher noch gemacht hätte: Was nicht ganz klar ist, ist, dass Deutschland eine Unterinvestition in die öffentliche Infrastruktur hat. Also, wenn du dir Busse oder Schulen anschaust, dann gibt es da massive Investitionslücken. Und wenn ich das mal krass vereinfache, liegt das daran, dass der Teil des Haushalts, der für den Beamtenapparat, für Rente und Sozialausgaben ist, relativ groß ist und auch größer werden wird. Das heißt, dass die Investitionen, die wir tätigen können, weniger werden. Dann müsste man eigentlich ernsthaft darüber nachdenken, wie man halt wieder in die Schulen investieren könnte. Da musst du dir dann halt wirklich Gedanken machen, ob du eine Schuldenbremse einhalten kannst. Und wo du eben auch Ausgaben des Staats reduzieren könntest. Das ist so eine Diskussion, die gerade in einem sehr engen Graben geführt wird, die aber viel größer werden müsste. Dann kommst du auch irgendwann zu der Frage, ob eine Digitalisierung im Staat nicht auch dazu führt, dass man vielleicht den Beamtenapparat vermindert. Es ist zum Beispiel zur Zeit so, dass die Kommunen ganz viele von den Staatsaufgaben übernehmen und sich dafür eigene IT-Systeme anschaffen. Und dann könnte man auch, wenn man den Föderalismus ein bisschen verändern würde, dafür sorgen, dass man vielleicht ein paar Schulaufgaben auf die Bundesebene hochzieht und damit auch viel Geld sparen würde. Da gibt es auch eine Frage, ob das Geld, was der Staat jetzt schon hat, besser nutzen könnten, um das Bildungssystem zu unterstützen. Das könnte glaube ich alles ein bisschen attraktiver organisiert werden. Man könnte auch das Verhältnis zwischen Lehrinnen und Lehrern zu Schülerinnen und Schülern verbessern. Das ist auch nicht so, dass wir da… im besten Szenario sind.

Sollte die Ukraine Mitglied der EU werden?

Die Ukraine ist ein freies Land. Sie kann selber entscheiden, was sie machen will. Ob sie Teil Russlands werden möchte, oder ob sie halt die Ukraine bleiben will. Im Moment scheint es so zu sein, als ob die Ukraine Teil der Europäischen Union werden wollen würde. Und wir als Europäische Union haben offiziell gesagt: “Gut, wenn ihr Mitglied werden wollt, nehmen wir euch als Kandidat auf und beginnen den formalen Prozess der Aufnahme. ” Und dieser Prozess dauert sicher ein Jahrzehnt. Das kann man ungefähr sagen. Und dann gibt es gewisse Auflagen, was die erfüllen müssen. Von mir also ein ganz klares JA! Es würde mich freuen, wenn die Ukraine die Auflagen erfüllt und dann Teil der Europäischen Union werden würde.

Auch im Europaparlamt fällt ein klarer Rechtsruck auf. Sie haben aber nicht nur ein Unvereinbarkeitsbeschluss zu extremen Rechten, sondern auch einen zu extremen Linken. Setzen Sie diese Gruppen auf die gleiche Stufe?

Ich glaube, das ist ein schwieriger Vergleich. Also für uns ist wichtig, dass wir nicht mit Extremisten leben, die das demokratische Spektrum unterwandern wollen. Das Problem an der AfD ist ja nicht, dass sie weiter rechts oder konservativer sind als die EU, sondern das Problem ist, dass sie von der demokratischen Bühne heruntergefallen sind und die ganze Zeit an ihr sägen und versuchen, sie kaputt zu machen. Für uns ist das etwas, was halt mit unserem Demokratieverständnis unvereinbar ist. Und bei linksextremen Gruppen ist das halt genauso. Die Linke ist für uns keine solche Gruppe. Deswegen gibt es auch keinen Unvereinbarkeitsbeschluss, mit der Linken zusammenzuarbeiten. Aber es gibt halt linksextreme Gruppen. Und für uns ist das genauso demokratiefeindlich und deswegen gibt es auch da eine Unvereinbarkeit. Aber würde ich die jetzt in irgendeiner Weise vergleichen. Wichtig ist, dass das Prinzip dahinter die Demokratiefeindlichkeit ist, die für uns in keinster Weise akzeptabel ist. Menschenrechte sind so Grundsatzprinzipien, die mit uns nicht verhandelbar sind.

Volt-Logo (Quelle: Volt Pressefotos www.voltdeutschland.org)
Wurden Sie schoneinmal politisch angefeindet?

In Person noch nie. Also abgesehen von irgendwelchen genervten Familienmitgliedern. (lacht) Aber von denen werde ich nie wirklich angefeindet. Online konstant. Aber das gehört dazu.

Das heißt, Sie gehen da irgendwie locker mit um?

Das hält mich auf jeden Fall nachts nicht wach.

Was motiviert Sie an Ihrer Arbeit?

Ich finde es mega motivierend, die politische Situation zu verbessern. VOLT motiviert mich als positives Projekt, obwohl alles gerade schwieriger in Deutschland und Europa wird. Das ist ja nicht einfacher geworden seit unserer Parteigründung. Die Rechtspopulisten werden ja immer stärker, was man ja gerade wieder an der Solingen-Debatte sehen kann. Und mich dann nicht davon deprimieren zu lassen, sondern das positive arbeiten gibt mir einfach Kraft und Freude in einer sonst schwierigen Zeit. Und dass es mir mega Spaß macht, mich in so Themen reinzufuchsen. Das ist einfach intelektuell herausfordernd, andere davon zu überzeugen, dass das gut ist, was man gerade macht. Deswegen macht mir mein Job eigentlich rundrum extrem viel Freude.

Ab welchem Alter sollen junge Menschen wählen gehen dürfen?

16 ist ein gutes Alter.

Wann sollte ich Volt wählen?

Bei jeder Wahl! (lacht) Nee, also. Wenn du Lust hast auf eine progressive, pragmatische und proeuropäische Politik und das irgendwie deinen Werten entspricht, dann solltest du uns auch wählen. Und wenn du das nicht findest, dann solltest du zumindest eine demokratische Partei wählen.

Dann bedanke ich mich bei Ihnen für das Interview und –

– Ein letzter Punkt. Wählen ist cool, aber Teil davon ist für mich auch, dass wir wieder in Parteien eintreten. Deswegen wäre das aller coolste, wenn du 5 bis 10 beste Freunde davon überzeugst, in den lokalen Ortsverband irgendeiner demokratischen Partei einzutreten. Und wenn das VOLT ist, freuen wir uns, aber wenn es eine andere Partei ist, ist das auch cool, um da sozusagen die Politik mitzugestalten. Die Parteimitgliedschaften haben sich seit 1970 halbiert und das schadet unserer Demokratie massiv. Und wir alle schauen immer drauf und fragen uns, was hier passiert, aber keiner denkt wirklich darüber nach, selber in die Politik zu gehen. Das ist für mich ein riesen Problem! Wenn du eine Sache aus dem ganzen Interview mitnimmst, dann ist es bitte, überlegt euch auch, in die Parteien zu gehen. Nicht, weil ihr 100 Prozent des Parteiprogramms unterschreiben könnt, sondern weil es einfach demokratiemäßig wichtig ist. Vor allem jetzt, wo die Demokratie so unter Druck ist. Das wäre mein letzter Punkt.

So dann bedanke ich mich JETZT für das Interview!

Du kannst alles veröffentlichen, was ich gesagt habe. Du musst das nicht nochmal abklären. Das ist für mich alles okay. Was ich sage, ist das, was ich meine. Tausend Dank! Du hast das krass gut vorbereitet, sauber durchgeführt, ich bin extrem beeindruckt!


Das Interview wurde am Mittwoch, dem 18. September 2024, geführt.

Quelle Beitragsbild: Pressefotos Volt (www.voltdeutschland.org)