Wenn dich das Leben zerreißt

You are (not) safe here – ein Roman über Liebe und Hass gegenüber einem Vater mit zwei Gesichtern

Eine Buchrezension von Henriette Rösch, Klasse 9b

Alle, die sensibel auf Themen wie häusliche Gewalt oder emotionalen Missbrauch reagieren, sollten weder diese Rezension noch den Roman, auf den sie sich bezieht, (allein) lesen.

Angst bedeutet, nicht immer die klügste, rationalste Entscheidung zu treffen. Angst bedeutet, Dinge zu tun, die für Außenstehende irrsinnig wirken. Angst bedeutet, nicht mehr klar denken zu können. Angst bedeutet, nichts mehr zu spüren, außer der Angst. Und wenn der Grund für deine Angst, in deinem eigenen Haus wohnt, isst, und schläft, dann bist du nirgends vor diesem Gefühl sicher. Wenn der Grund für deine Angst ständig dein Leben und das deiner Familie bedroht, dann spürst du dieses Gefühl andauernd. Wenn der Grund für deine Angst, dein eigener Vater ist, dann bist du die Angst.

Häusliche Gewalt ist ein Begriff, der vielen etwas sagt. Die meisten verbinden damit einen gewalttätigen, missbrauchenden Vater der mit seiner Tochter, die nie etwas anderes kannte, als diese körperlichen Übergriffe und einer Frau, die er einsperrt, damit sie nicht davonläuft, in einer heruntergekommenen Wohnung, abgeschieden von jeglichem sozialen Leben wohnt. Dass es auch andere Formen von häuslicher Gewalt gibt, dass eine Person, die diese ausübt, nicht nur schlecht sein muss, dass man betroffenen Personen nicht immer den Missbrauch ansieht, vor allem aber, dass es trotzdem kein bisschen weniger häusliche Gewalt ist, dass man sich trotzdem genauso dringend Hilfe suchen darf und sollte, das alles beschreibt Kyrie McCauley in ihrem Buch “you are (not) safe here” sehr anschaulich. 

Die 18-jährige Leighton erzählt, als Protagonistin des Buches, von ihren beiden Schwestern, die sie sehr liebt, ihrer Mutter, zu der sie eine Beziehung führt, die aus Frust, Wut und dennoch unerklärlicher Liebe geprägt ist und ihrem Vater. Ihrem Vater, der zwar niemanden schlägt, von dem aber trotzdem eine ständige Gefahr ausgeht. Denn er schreit, flucht, beschimpft, droht, wirft Gläser und Vasen. Und dann entschuldigt er sich, bringt vielleicht einen Strauß Blumen mit und möchte wieder sein wie vorher. Denn es gibt ein vorher. Er war mal anders: liebevoll, aufmerksam, freundlich und –vor allem- nicht so aggressiv. Und manchmal, an guten Tagen, da scheint diese Version von ihm wieder durch. Eine Version, an der alle verzweifelt festhalten, ganz egal wie wenig noch von diesem Mann übrig ist. Und es ist nicht mehr viel. Denn mit jedem Tag wird das Schweigen vorsichtiger, bloß nichts sagen, um ihn zu verärgern. Und mit jedem Tag fühlt sich Leighton schlechter mit ihrem Vorhaben bald eine Universität weit weg zu besuchen, denn das würde bedeuten, ihre Schwestern mit ihm allein zu lassen.

Leightons Geschichte wird sehr ernst, mitfühlend und so erzählt, als könne sie genau so passiert sein. Jedenfalls zu einem großen Teil, denn etwas Fantasy ist auch mit von der Partie. So sehr ich den realistischen Teil des Buches auch mag und als lehrreich und wichtig empfinde, so irritiert bin ich von den fantastischen Zügen des Buches. Sie wirken fehl am Platz, sind nicht nachvollziehbar oder zu übertrieben. So wird der Heimatort von Leighton im Laufe der Handlung von zahllosen Raben belagert. Die ganze Stadt ist in Sorge und möchte sie loswerden. Einzig Leighton und ihre Schwestern mögen die schwarzen Vögel. Sie bringen ihnen Briefe, wofür sie im Gegenzug Murmeln, Federn oder ähnliches bekommen. Obwohl die Menschen der Stadt alles versuchen, um die Raben loszuwerden – nicht mal eine groß aufgezogene Jagd hilft – verschwinden die Raben nicht. Im Gegenteil: Es werden immer mehr. Erst nachdem die schwarzen Vögel Leighton und ihren Schwestern (Achtung Spoiler!) das Leben gerettet haben, verschwinden alle von ihnen wie von Zauberhand.  

Wer mit jedoch zum einen mit ein paar verwirrenden Passagen zurechtkommt, und zum anderen auch tiefgreifende, emotional aufwühlende Bücher mag, dem kann ich “you are (not) safe here” sehr empfehlen. Allerdings würde ich es persönlich, aufgrund der doch teilweise sehr ergreifenden Passagen des Buches, erst für etwa Zwölfjährige empfehlen. 

Das Thema häusliche Gewalt ist unfassbar sensibel. Trotzdem oder gerade deswegen müssen wir uns mit ebendiesem aber in solchen und ähnlichen Büchern, Filmen und so beschäftigen. Gerade deswegen müssen wir mit Opfern sprechen und ihnen Gehör schenken. Gerade deswegen müssen wir denen eine Stimme schenken, die selbst nicht sprechen können.  

Quelle Beitragsbild: www.pixabay.com


Hier sind Anlaufstellen, an die du dich wenden kannst, solltest du häusliche Gewalt erfahren / erfahren haben.


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